Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0520
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Kants Ideenlehre

427

tigten Platz als Schemata, die er in zahlreichen Wendungen noch oft charakterisiert:
als heuristische Funktionen')628 oder »als ob« es solch einen Gegenstand gebe.629 -
Die Erörterung, was Idee überhaupt sei, ist recht abstrakt. Weitere Aufklärung ist
zu erwarten durch Vergegenwärtigung der einzelnen Ideen. Denn es gibt nicht eine Idee
des Systematischen überhaupt, sondern viele Ideen, die, jede in ihrem Felde, das Sy-
stematische machen.
Kant stellt drei Ideen auf; diese leitet er aus den Arten der Synthesis des Denkens
ab“),630 die zum Subjekt, zur Reihe, zum System ihre sehr verschiedenen Richtungen
einschlägt. Es wird hier überall fortgeschritten zum Unbedingten, d.h. »zum Subjekt,
welches selbst nicht mehr Prädikat« ist, oder »zur Voraussetzung, die nichts mehr vor-
aussetzt« (in der Reihe), oder »zu einem Aggregat der Glieder der Einteilung, zu wel-
chem nichts weiter erforderlich ist, um die Einteilung eines Begriffs zu vollenden«631
(im System). Der Weg zum Subjekt steht unter der Idee der Seele, der Weg zur Totalität
der Reihe unter der Idee der Welt als eines Ganzen, der Weg zum System unter der Idee
des Ganzen der Erfahrung überhaupt. Zwischen diesen drei Ideen sieht Kant einen Auf-
stieg: »Von der Erkenntnis seiner selbst (der Seele) zur Welterkenntnis und vermittelst
dieser zum Urwesen fortzugehen, ist ein natürlicher Fortschritt«“1).632 Durch solche Ab-
leitung der Ideen aus ihrem Ursprung in den Eigenschaften unserer Vernunft, meint
Kant »zugleich ihre bestimmte Zahl, über die es gar keine mehr geben kann«, anzuge-
ben* * iii iv) ,633 Die Ideen, die so als theoretische bloße Aufgaben sind, werden im Praktischen er-
füllt, und hier erscheinen die Ideen von Seele, Welt und dem Ganzen der Erfahrung
wieder als die Ideen von Unsterblichkeit, Freiheit und Gott.634
| Unter Vernachlässigung dieser uns seltsam berührenden Ableitung und in gewis- 165
sem Gegensatz zu Kants Stolz auf die »bestimmte Zahl« scheint es erlaubt, unter Ver-
wendung mannigfacher Äußerungen Kants eine andere Ordnung der Ideen zu versuchen,
ohne eigentlich unkantisch zu denken.
Das »Ganze« kann zweierlei Sinn haben: erstens ist es das Ganze von Erfahrungs-
richtungen, z.B. die Erfahrung des Organischen, des Mechanischen, des Seelischen,
zweitens ist es das Ganze der Erfahrungsinhalte, z.B. jedes individuelle Ding, und das
Ganze der Erfahrung als das einmalige, individuelle Weltwesen. Darum gibt es zwei
heterogene Klassen von Ideen, die gleichsam allgemeinen Ideen und die Idee der ein-
zelnen Individualität; die letztere ist nur eine einzige in bezug auf das Ganze der mög-
lichen Erfahrung überhaupt als eines umfassenden Individuums, nimmt aber zahllose
Gestalten an in den Einzelindividuen, welche jedoch Ideen nur in Bezugsetzung zu je-

1 B.799.
“ Darüber B. 379ff., 391,393 (Inhärenz, Dependenz und Konkurrenz) 432 bis 433, 434, 435. Die Be-
nutzung der Schlußformen ist oben nicht genauer referiert. Es kommt hier nur darauf an, daß Kant
eine Ableitung auf diese Weise macht, nicht wie er sie macht.
iii B. 394.
iv B. 396.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften