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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0533
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Kants Ideenlehre

bestimmen, eben darum, weil es Freiheit ist, welche jede angegebene Grenze überstei-
gen kann«').661 Die menschliche Vernunft enthält nicht allein Ideen, sondern auch
Ideale, »die praktische Kraft... haben und der Möglichkeit der Vollkommenheit gewis-
181 ser Handlungen zum Grunde liegen ... Tugend und mit ihr mensch|liehe Weisheit in
ihrer ganzen Reinigkeit sind Ideen. Aber der Weise (des Stoikers) ist ein Ideal, d.i. ein
Mensch, der bloß in Gedanken existiert, der aber mit der Idee der Weisheit völlig kon-
gruiert. So wie die Idee die Regel gibt, so dient das Ideal in solchem Falle zum Urbild der
durchgängigen Bestimmung des Nachbildes, und wir haben kein anderes Richtmaß
unserer Handlungen als das Verhalten dieses göttlichen Menschen in uns, womit wir
uns vergleichen, beurteilen und dadurch uns bessern, obgleich wir es niemals errei-
chen können. Diese Ideale, ob man ihnen gleich nicht objektive Realität (Existenz) zu-
gestehen möchte, sind doch um deswillen nicht für Hirngespinste anzusehen, son-
dern geben ein unentbehrliches Richtmaß der Vernunft ab ... Das Ideal aber in einem
Beispiel, d.i. in der Erscheinung, realisieren wollen, wie etwa den Weisen in einem Ro-
man, ist untunlich und hat überdem etwas Widersinniges und wenig Erbauliches an
sich, indem die natürlichen Schranken, welche der Vollständigkeit in der Idee konti-
nuierlich Abbruch tun, alle Illusion in solchem Versuche unmöglich und dadurch das
Gute, das in der Idee liegt, selbst verdächtig und einer bloßen Erdichtung ähnlich
machen«").662 - Eine Idee der praktischen Vernunft ist z.B. ferner die »Heiligkeit«; ein
heiliger Wille wäre ein solcher, »der keiner dem moralischen Gesetz widerstreitenden
Maximen fähig wäre«'").663 »Diese Heiligkeit des Willens ist... eine praktische Idee, wel-
che notwendig zum Urbilde dienen muß, welchem sich ins Unendliche zu nähern das
einzige ist, was allen endlichen Wesen zusteht ,..«iv).664 Was endliche praktische Ver-
nunft jedoch allein bewirken kann, ist Tugend, die nie vollendet ist. Tugend ist »mo-
ralische Gesinnung im Kampfe«. Dagegen ist nicht erreichbar »Heiligkeit im vermeint-
lichen Besitze einer völligen Reinigkeit der Gesinnungen des Willens«v).665
Etwas ganz anderes als diese praktischen Ideen und Ideale sind die »Postulate der
praktischen Vernunft«; in diesen werden nach Kant die Ideen von Seele, Welt und dem
Ganzen der Erfahrung als Unsterblichkeit, Freiheit und Gott zwar für die spekulative Ver-
nunft nicht erfüllt, die vielmehr auf diese Weise nicht zu erweitern ist, aber sie gewin-
nen für die praktische Vernunft objektive Realität'')-666

‘ B. 374.
ü B. 597t.
üi Kritik der praktischen Vernunft 38 (Kehrbach).
iv a.a.0.39.
v a.a.0.103.
vi Vgl. z.B. a.a.O. rs8ff.
 
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