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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0571
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478

Stellenkommentar

isoliert, vereinzelt, ästhetisch, apparatenhaft bleiben, wenn sie nicht in den Dienst einer der
folgenden Gruppen treten. Doch gibt es gerade eine mögliche Rangordnung, nach der die-
ses isoliert, einzeln Bleiben als das einzig Sinnvolle, als wahrhaftig aufgefaßt wird. Die übri-
gen Gruppen bilden Totalitäten, sind darum nie für die ratio durchsichtig, sofern sie als ganze
gesehen werden. -
[ Das eigentliche Interesse
283 Vgl. Platon: Politeia IV, 42/e, 430h, 4323-4333, 444d-445; IX, 58od.
284 In der von Jaspers verwendeten Übersetzung Schleiermachers ist in diesem Zusammenhang
vom »Angemessenen« die Rede (vgl. Platon: Philebos, 66a).
285 Platon: Philebos, 54a-6/b, bes. 65a-66d.
286 Vgl. Platon: Politeia; zu den Philosophen bes.: VI, 49öa-d, VII, 52oa-c; zur Gerechtigkeit: IV,
420b; VI-X, 4/2a-62ic.
287 Vgl. Cicero: Deofftciis II, 5 (Weisheit); ebd., 1,62-67 (Tapferkeit); ebd. 1,102-103,142 (Mäßig-
keit); ebd., 1,20-23 (Gerechtigkeit).
288 Vgl. Cicero: De offtciis I, 93-94.
289 NA: sich vorgedrängt. ] EA:
Die Tugenden werden von Cicero mit vielen Worten benannt, ihr Sinn ist mit keinem einzel-
nen Wort vollständig zu treffen. Es sind jedesmal Komplexe, die Cicero aus den Grundtrieben
der menschlichen Seele ableitet. Allen zu Grunde liegt der Selbsterhaltungstrieb. Besonderen
Tugenden zu Grunde aber liegen: 1) der Geselligkeitstrieb, 2) der Trieb zur Erforschung der
Wahrheit, 3) das Verlangen nach Vorrang, der Widerwille, anderen Gehorsam zu leisten, 4)
das Gefühl für Ordnung, Anstand, Maß in Wort und Tat. - Der Geselligkeitstrieb führt zu den
Tugenden der Gerechtigkeit und der Freigiebigkeit; das Verlangen nach Vorrang zu Mut und
Geringachtung menschlicher Zufälle, zu einer großen Seele, zu Seelenruhe und Sicherheit;
das Gefühl für Ordnung und Anstand zum »decorum«, das als Mäßigung, Bescheidenheit, Bestän-
digkeit auftritt (moderatio, temperantia, modestia, Constantia). Dieser letzte Komplex mag et-
was näher geschildert sein; er ist für Cicero, den Römer, ebenso charakteristisch, wie für Plato
die Herrschaft des vooq und der höchste Wert des Maßes im Menschen, der ihm ein Mikro-
kosmos ist:
Der Anstand zeigt sich in jeder Tat und jedem Worte, selbst in jeder Bewegung und Stellung
des Körpers. Er beruht auf Schönheit, Ordnung und dem für die Sache passenden Äußern.
Manches ist, wenn es im Geheimen geschieht, nicht unanständig; es auszusprechen aber ist
anstößig. Unsere Stellung, unser Gang, die Art, wie wir sitzen, wie wir bei Tische liegen, un-
sere Mienen, unsere Augen, die Bewegungen unserer Hände, alles muß sich nach jenem An-
stande richten. Weder weibisch, noch weichlich, noch rauh und widrig dürfen wir uns be-
nehmen. Von unserem Äußern ist aller nicht schickliche Schmuck zu entfernen. Geberden
der Palästra und Schauspielergeberden sind als anstößig zu meiden. Beim Gange sollen wir
weder weichliche Langsamkeit noch allzu große Geschwindigkeit annehmen. Gesetztes We-
sen, gleichmäßiges Benehmen ist überall zu wahren. Sprechen müssen wir je nach Gelegen-
heit und Situation, wie es gerade da passend ist, nicht zornig werden, zur rechten Zeit aufhö-
ren, die Gegenstände des Gesprächs passend wählen. Viele Erwerbsarten sind unanständig.
Z.B. der Handel im kleinen muß für gemein gelten, wird er hingegen im großen betrieben,
ist er anständig. Von allen Erwerbsarten aber ist keine besser als der Ackerbau.
Etwas mehr auf die Prinzipien gehend, wird der Anstand so zu fassen sein: man darf nichts
tun, wovon man keinen anzuerkennenden Grund anzugeben weiß. - Die Natur hat uns ei-
 
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