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Vernunft und Existenz
Weber im Politischen der Gesinnungsethik, die es in eindeutiger Gesetzlichkeit be-
quem zum Untergang treiben läßt (nach moralischen Grundsätzen unbedingt han-
delt und sich damit rechtfertigt, daß sie das Gute gewollt habe und den Erfolg Gott an-
♦ heimstelle) die Verantwortungsethik gegenüber, in der für den Erfolg gehaftet wird
(wenn sich auch die Formulierungen solcher Verantwortungsethik durch jede belie-
85 bige Willkür wieder]um mißbrauchen lassen).170 Ich lasse mich und die Meinen in die
Lage der Daseinsschwächeren, Ohnmächtigen und Untergehenden dadurch drängen,
daß ich Verhaltungsweisen, welche auf ihrer Stufe gelten, festhalte, wo ich weiß, daß
ich nicht auf dieser Stufe handle, sondern der List der Andern ausgeliefert und miß-
braucht werde.
Zweitens kann die unvergängliche Daseinsdauer als solche nicht ein sinnvolles Ziel
sein. Der Mensch könnte als bloßes Dasein Dauer haben, aber dabei aufhören, Mensch
zu sein, nicht anders wie etwa alles Lebendige in der Welt zunichte werden und die
tote Materie sieghafte Dauer haben könnte. Je geringer im Rang, desto höher ist die
Dauerhaftigkeit eines Seins. Die höheren Stufen sind die bewegteren, gefährdeteren,
vergänglicheren. Der Wille zur Dauer in der Zeit - außer in begrenzter Kontinuität ei-
ner sich verwandelnden und erfüllenden Geschichtlichkeit - ist bei ihnen ein Mißver-
ständnis ihres Sinns. -
Da also überall zu sehen ist, wie die Verabsolutierung und die Isolierung einer Weise
des Umgreifenden dessen Grenzen und zugleich die entstehende Unwahrheit zeigt, so
könnte dem unbefriedigten Kommunikationswillen Genüge getan werden mit der For-
derung: Jede Weise der Mitteilbarkeit ist in ihrem Recht, keine zu überspringen; es wäre
überall eine Schuld in der Verwirklichung meines Kommunikationswillens, wenn ich
irgendeine Stufe als nicht beachtlich ignorierte.
Da ferner die Weisen des Umgreifenden nicht ein Nebeneinander von Verschiede-
nem sind, das zusammen als Summe das sei, was ich im Ganzen bin, so ist nicht aus-
reichend, zwischen ihnen die Alternativen einer vermeintlichen Wahl aufzuheben,
sondern notwendig, ihre Rangordnung zu ergreifen.
Aber diese ganze Betrachtungsweise läßt etwas in uns noch unbefriedigt. Es ist, als
86 ob das Wesentliche nicht zur | Sprache gekommen sei. Das entscheidende Ungenügen
macht sich fühlbar erstens darin, daß die drei Weisen des Umgreifenden keineswegs zur
Einheit eines in sich vollendbaren Ganzen führen. Weder ist die Wesensverschieden-
heit des Sinns der Kommunikation und damit der Wahrheit in den drei Weisen zu ver-
wischen, noch ist sie in einer wißbaren Totalität zu lösen. Es wäre eine Täuschung, daß
die Weisen des Umgreifenden und damit der Art der Kommunikation zu Einem zusam-
menwachsen könnten, so daß ein harmonisches Ganzes im Zeitdasein möglich würde.
Zweitens ist dieses unser Ungenügen selber, das zuerst drängt, alle Weisen der Kom-
munikation zusammenzunehmen, und das dann die Unmöglichkeit dessen erfährt,
aus einem Antrieb hervorgegangen, der in seiner grenzenlosen Ungenügsamkeit und all-
Vernunft und Existenz
Weber im Politischen der Gesinnungsethik, die es in eindeutiger Gesetzlichkeit be-
quem zum Untergang treiben läßt (nach moralischen Grundsätzen unbedingt han-
delt und sich damit rechtfertigt, daß sie das Gute gewollt habe und den Erfolg Gott an-
♦ heimstelle) die Verantwortungsethik gegenüber, in der für den Erfolg gehaftet wird
(wenn sich auch die Formulierungen solcher Verantwortungsethik durch jede belie-
85 bige Willkür wieder]um mißbrauchen lassen).170 Ich lasse mich und die Meinen in die
Lage der Daseinsschwächeren, Ohnmächtigen und Untergehenden dadurch drängen,
daß ich Verhaltungsweisen, welche auf ihrer Stufe gelten, festhalte, wo ich weiß, daß
ich nicht auf dieser Stufe handle, sondern der List der Andern ausgeliefert und miß-
braucht werde.
Zweitens kann die unvergängliche Daseinsdauer als solche nicht ein sinnvolles Ziel
sein. Der Mensch könnte als bloßes Dasein Dauer haben, aber dabei aufhören, Mensch
zu sein, nicht anders wie etwa alles Lebendige in der Welt zunichte werden und die
tote Materie sieghafte Dauer haben könnte. Je geringer im Rang, desto höher ist die
Dauerhaftigkeit eines Seins. Die höheren Stufen sind die bewegteren, gefährdeteren,
vergänglicheren. Der Wille zur Dauer in der Zeit - außer in begrenzter Kontinuität ei-
ner sich verwandelnden und erfüllenden Geschichtlichkeit - ist bei ihnen ein Mißver-
ständnis ihres Sinns. -
Da also überall zu sehen ist, wie die Verabsolutierung und die Isolierung einer Weise
des Umgreifenden dessen Grenzen und zugleich die entstehende Unwahrheit zeigt, so
könnte dem unbefriedigten Kommunikationswillen Genüge getan werden mit der For-
derung: Jede Weise der Mitteilbarkeit ist in ihrem Recht, keine zu überspringen; es wäre
überall eine Schuld in der Verwirklichung meines Kommunikationswillens, wenn ich
irgendeine Stufe als nicht beachtlich ignorierte.
Da ferner die Weisen des Umgreifenden nicht ein Nebeneinander von Verschiede-
nem sind, das zusammen als Summe das sei, was ich im Ganzen bin, so ist nicht aus-
reichend, zwischen ihnen die Alternativen einer vermeintlichen Wahl aufzuheben,
sondern notwendig, ihre Rangordnung zu ergreifen.
Aber diese ganze Betrachtungsweise läßt etwas in uns noch unbefriedigt. Es ist, als
86 ob das Wesentliche nicht zur | Sprache gekommen sei. Das entscheidende Ungenügen
macht sich fühlbar erstens darin, daß die drei Weisen des Umgreifenden keineswegs zur
Einheit eines in sich vollendbaren Ganzen führen. Weder ist die Wesensverschieden-
heit des Sinns der Kommunikation und damit der Wahrheit in den drei Weisen zu ver-
wischen, noch ist sie in einer wißbaren Totalität zu lösen. Es wäre eine Täuschung, daß
die Weisen des Umgreifenden und damit der Art der Kommunikation zu Einem zusam-
menwachsen könnten, so daß ein harmonisches Ganzes im Zeitdasein möglich würde.
Zweitens ist dieses unser Ungenügen selber, das zuerst drängt, alle Weisen der Kom-
munikation zusammenzunehmen, und das dann die Unmöglichkeit dessen erfährt,
aus einem Antrieb hervorgegangen, der in seiner grenzenlosen Ungenügsamkeit und all-