Stellenkommentar
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gung mit meinen Schriften werden Sie nun unzweifelhaft ein wenig müde sein mit dieser
Art der Lektüre.«
eine in Genf gehaltene Redel K. Jaspers: Vom europäischen Geist, München 1947.
314 In Antares. Französische Hefte für Kunst, Literatur und Wissenschaft 2, Nr. 4,24-31 erschien im
Juni 1954 eine Sammelrezension von Joseph Dresch: »Karl Jaspers in Frankreich«, Dreschs
französischer Text, für die Zeitschrift übersetzt von Nino Erne, zitiert u.a. aus dem Vorwort
Jaspers' zu Dufrenne/Ricoeur - nach der französischen Vorlage. Deren Rückübersetzung
durch Erne hat Jaspers noch einmal redigiert, vgl. ebd., 26, Anm. 1: »Wir machen darauf
aufmerksam, daß diese Sätze von Joseph Dresch französisch zitiert sind, da uns kein Jas-
perssches Originalmanuskript vorlag, mußten sie ins Deutsch über- oder besser rücküber-
setzt werden. Karl Jaspers hatte die Freundlichkeit, diese Übersetzung persönlich durchzu-
sehen und in einigen Punkten zu berichtigen.« Die gesamte Passage bei Dresch (ebd., 25-26)
lautet, zum Teil abweichend vom oben wiedergegebenen Entwurf:
»>Die Herren Dufrenne und Ricoeur haben mit bemerkenswerter Genauigkeit die Prin-
zipien und Entwicklungsgänge meiner Philosophie umrissen und bestimmt. Sie haben mit
einer bewundernswerten Klarheit alles das wiedergegeben, was durch rapports conceptuels
umgrenzt und in einer Sprache ausgedrückt werden kann, die eine Übereinstimmung geis-
tiger Menschen ermöglicht.
Man hat schon mehrfach, und nicht ohne Grund, behauptet, meine philosophische
Richtung weise einen doktrinalen Zug auf. Ich will gern gestehen, daß ich mich ebenso
über diese Übertragung meines Denkens in die wundervolle französische Sprache freue, wie
ich es andererseits ein wenig bedauere, hier nur dessen Skelett wiedergegeben zu sehen, des-
sen Kenntnis allerdings den Zugang zu meinen Schriften erleichtern wird.
Die kritischen Einwände des vierten Teils sind von besonderem Interesse. Die Verfasser,
gestützt auf eigene reiche Erfahrung und gründliche Kenntnis meiner Gedankengänge,
werfen mir Widersprüche zwischen der Methode und der Doktrin vor, die mein gesamtes
philosophisches Unternehmen in Frage stellen.
Dabei handelt es sich nicht um nebensächliche Widersprüche, denen mit etwas Logik
abzuhelfen wäre, sondern um grundsätzliche, unlöslich mit dem Ganzen verbundene Wi-
dersprüche.
Ich habe den Eindruck, daß man zur Klärung beiträgt, wenn man diese Widersprüche
unterstreicht. Die Verfasser weisen hier in eine Richtung, die ich selbst schon beschritten
habe. Denn gegen diese Widersprüche gibt es kein anderes Mittel, als sie sich völlig klar und
bewußt zu machen, sie in sein Denken einzubeziehen.<
Und Jaspers fügt an anderer Stelle hinzu: >Kein Abriß einer Philosophie kann diese Phi-
losophie in ihrer eigentlichen Essenz darstellen, das ist eine unvermeidliche Tatsache... In
dem Werk, das ich Philosophie genannt habe, ist jedes Kapitel - nicht etwa nur das Werk als
Ganzes - abgeschlossen und einheitlich für sich konzipiert, es muß daher in einem Zug ge-
lesen werden; seine Erkenntnis ergibt sich nicht aus dieser oder jener einzelnen Feststel-
lung, sondern nur aus der Bewegung, die das Ganze in eine Richtung treibt. Es ist unmög-
lich, eine derartige Bewegung wiederzugeben, und darum wäre es absurd, einem Abriß
deswegen einen Vorwurf zu machen.
Doch der Abriß und die Kritik der Herren Dufrenne und Ricoeur bringen etwas Neues,
das für den Autor selbst eine Ermutigung bedeutet. Denn ihr Buch enthält nicht nur irgend-
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gung mit meinen Schriften werden Sie nun unzweifelhaft ein wenig müde sein mit dieser
Art der Lektüre.«
eine in Genf gehaltene Redel K. Jaspers: Vom europäischen Geist, München 1947.
314 In Antares. Französische Hefte für Kunst, Literatur und Wissenschaft 2, Nr. 4,24-31 erschien im
Juni 1954 eine Sammelrezension von Joseph Dresch: »Karl Jaspers in Frankreich«, Dreschs
französischer Text, für die Zeitschrift übersetzt von Nino Erne, zitiert u.a. aus dem Vorwort
Jaspers' zu Dufrenne/Ricoeur - nach der französischen Vorlage. Deren Rückübersetzung
durch Erne hat Jaspers noch einmal redigiert, vgl. ebd., 26, Anm. 1: »Wir machen darauf
aufmerksam, daß diese Sätze von Joseph Dresch französisch zitiert sind, da uns kein Jas-
perssches Originalmanuskript vorlag, mußten sie ins Deutsch über- oder besser rücküber-
setzt werden. Karl Jaspers hatte die Freundlichkeit, diese Übersetzung persönlich durchzu-
sehen und in einigen Punkten zu berichtigen.« Die gesamte Passage bei Dresch (ebd., 25-26)
lautet, zum Teil abweichend vom oben wiedergegebenen Entwurf:
»>Die Herren Dufrenne und Ricoeur haben mit bemerkenswerter Genauigkeit die Prin-
zipien und Entwicklungsgänge meiner Philosophie umrissen und bestimmt. Sie haben mit
einer bewundernswerten Klarheit alles das wiedergegeben, was durch rapports conceptuels
umgrenzt und in einer Sprache ausgedrückt werden kann, die eine Übereinstimmung geis-
tiger Menschen ermöglicht.
Man hat schon mehrfach, und nicht ohne Grund, behauptet, meine philosophische
Richtung weise einen doktrinalen Zug auf. Ich will gern gestehen, daß ich mich ebenso
über diese Übertragung meines Denkens in die wundervolle französische Sprache freue, wie
ich es andererseits ein wenig bedauere, hier nur dessen Skelett wiedergegeben zu sehen, des-
sen Kenntnis allerdings den Zugang zu meinen Schriften erleichtern wird.
Die kritischen Einwände des vierten Teils sind von besonderem Interesse. Die Verfasser,
gestützt auf eigene reiche Erfahrung und gründliche Kenntnis meiner Gedankengänge,
werfen mir Widersprüche zwischen der Methode und der Doktrin vor, die mein gesamtes
philosophisches Unternehmen in Frage stellen.
Dabei handelt es sich nicht um nebensächliche Widersprüche, denen mit etwas Logik
abzuhelfen wäre, sondern um grundsätzliche, unlöslich mit dem Ganzen verbundene Wi-
dersprüche.
Ich habe den Eindruck, daß man zur Klärung beiträgt, wenn man diese Widersprüche
unterstreicht. Die Verfasser weisen hier in eine Richtung, die ich selbst schon beschritten
habe. Denn gegen diese Widersprüche gibt es kein anderes Mittel, als sie sich völlig klar und
bewußt zu machen, sie in sein Denken einzubeziehen.<
Und Jaspers fügt an anderer Stelle hinzu: >Kein Abriß einer Philosophie kann diese Phi-
losophie in ihrer eigentlichen Essenz darstellen, das ist eine unvermeidliche Tatsache... In
dem Werk, das ich Philosophie genannt habe, ist jedes Kapitel - nicht etwa nur das Werk als
Ganzes - abgeschlossen und einheitlich für sich konzipiert, es muß daher in einem Zug ge-
lesen werden; seine Erkenntnis ergibt sich nicht aus dieser oder jener einzelnen Feststel-
lung, sondern nur aus der Bewegung, die das Ganze in eine Richtung treibt. Es ist unmög-
lich, eine derartige Bewegung wiederzugeben, und darum wäre es absurd, einem Abriß
deswegen einen Vorwurf zu machen.
Doch der Abriß und die Kritik der Herren Dufrenne und Ricoeur bringen etwas Neues,
das für den Autor selbst eine Ermutigung bedeutet. Denn ihr Buch enthält nicht nur irgend-