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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0033
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Grundsätze des Philosophierens

zum Bilde Gottes. Aber auch dieses Bild, obgleich das entsprechendste, bleibtunange-
messen, jedoch nicht weil Gott weniger, sondern weil er mehr als Persönlichkeit sein
muss. Persönlichkeit ist eine Gestalt des Endlichen, Geschaffenen. Das Unpersönliche,
das All des Seienden, die Substanz, das alles ist Gott allerdings noch weniger, als wie er
Persönlichkeit ist, oder umgekehrt: er ist in allem, was ist. Weil Gott mehr und ein ganz
anderes ist als alles in der Welt Seiende, darum schliesst er mit der Stufenfolge des Sei-
enden auch das Persönlich-erscheinen als ein mögliches Gleichnis in sich.
Die vielfache Weise der Gottesanschauung ist zwar unumgänglich, aber sie zer-
streut und täuscht. Das Anschauen macht ästhetisch, sein Vollzug bringt blosse Stim-
mung, das Wirklichkeitsbewusstsein wird schwach oder bleibt aus.
Statt des Seins Gottes kann das Tun Gottes im Vordergrund stehen. Nicht das We-
sen Gottes ist dann das Wichtige, sondern wie er sich zu uns verhält. Z.B. wird Gott
vorgestellt, wie er richtet und vergibt, und die Weise, wie er durch seine Heilstat (Her-
abkunft, Opfertod) diese Vergebung vollzieht. Bestimmt die Sorge um Gottes Gericht
und Gnade das Gottesbewusstsein, so denkt der Mensch, seine Unsterblichkeit als
selbstverständlich voraussetzend, an die Alternative seiner ewigen Seligkeit oder ewi-
gen Verdammnis. Nicht das Interesse an Gottes Sein, sondern das Interesse am eige-
nen Seelenheil steht im Vordergrund. Dazu ist zu sagen, dass das Vertrauen zu Gott
einen anderen Ursprung hat, als die bestimmten Vorstellungen von Gericht und
Gnade:
Wem Gottes Sein gewiss ist, der kann nicht böse handeln, solange diese Gewissheit
der Wirklichkeit Gottes ihn wahrhaft durchdringt. Das primäre Interesse für das Ge-
richt dagegen verschleiert Gott, weil es ihn für unsere Vorstellung verengt. Wenn der
Mensch seines ernsten Bemühens sich bewusst ist, so erwächst ihm aus der Gottesge-
wissheit als solcher ein unbestimmbares Vertrauen: Gott wird seine Gnade nicht knüp-
fen an Bedingungen, die den Stempel, von Menschen erdacht zu sein, so offenbar zei-
gen, wie alle Glaubensforderungen spezifischer Art, wie auch die Forderung des
Glaubens an den Opfertod Christi und an ein Heilsgeschehen, das an Ort und Zeit in
der Welt gebunden, einmal stattgefunden haben soll.
Gottes Zorn, sein Gericht und seine Gnade sind, wie alle Bilder, unangemessen.
Dass Gott »vergibt«, kann mein Bewusstsein nicht beherrschen, wohl aber, dass Gott
über solchen Vordergrund menschlicher Vorstellungen hinaus jenseits dieser Gegen-
sätze von Richten und Vergeben ein abgründiges Vertrauen bewirkt.
e. Glaube und Aussage des Glaubens. - Der Glaube an Gott ist der einzige Boden,
der bleiben kann. Die Erscheinung dieses Glaubens in Vorstellungen, Gedanken,
Handlungen mag arm oder reich sein; wo der Glaube wirklich ist, da ist er notwendig
tief und unendlich.
Aber die Aussage des Glaubens entleert sich entweder in Abstraktionen, in den De-
ismus des Verstandes, schliesslich in konventionelle Redensarten, die am Ende mit ei-
 
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