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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0040
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Grundsätze des Philosophierens

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relang auf das Todesurteil wartete, überwand seine klugen Bemühungen der Rettung,
sodass er schliesslich weder in unwürdigen Handlungen sich selbst aufgab noch die
Fassung verlor3.22 Boethius starb unschuldig den von einem Barbaren über ihn ver-
hängten Tod: in hellem Bewusstsein philosophierend zugewandt dem eigentlichen
Sein.23 Bruno überwand sein Zweifeln und halbes Nachgeben zu dem hohen Entschluss
unerschütterlichen zweckfreien Standhaltens bis auf den Scheiterhaufen?24
b. Der Sinn der Unbedingtheit. - Unbedingtheit gibt es nicht im unreflektierten
Sosein des Menschen. Als unreflektiertes Dasein ist der Mensch Gegenstand der Psy-
chologie. Inbezug auf das, was ich psychologisch von mir oder anderen Menschen
weiss, muss ich nach Ursachen, Gründen und Motiven ins Endlose fragen und finde
nie ein Unbedingtes. Es ist vergeblich und täuschend, es in einem gegenständlich An-
schaubaren zu suchen. So ist das Unbedingte nicht ergriffen, wenn ich das Wesen ei-
nes Menschen als seinen Dämon anschaue. Denn der Dämon ist zwar gemeint als un-
bedingt von der Transzendenz her wirkend, aber er ist auch für diese Meinung
gebunden an seinen dunklen unbegriffenen Grund des blossen Soseins; daher kann
er, trotz überwältigender Energie seines augenblicklichen Wirkens, plötzlich erlahmen
und anders sein, sich vergesslich und unverlässlich zeigen. Die Unbedingtheit liegt
auch nicht im angeborenen Charakter. Denn dieser kann sich verwandeln, im Ent-
schluss der Freiheit, in einer Metamorphose und Wiedergeburt. Und er kann sich ver-
ändern aus Ursachen, die der empirischen Forschung zugänglich sind. Alle Weisen
also eines Soseienden, ob als Vitalität, Leidenschaft, Dämonie, als ein Sichdurchset-
zen angesprochen, sind, obgleich übermächtig im Augenblick, doch nicht unbedingt.
Auch das Faktum des sich hingehenden Sterbens beweist keine Unbedingtheit (wiec
auch Tiere sich opfernd sterben können, weil sie den Tod nichtd sehen).
Unbedingtheit ist erst im Entschluss der Existenz, der durch Reflexion hindurch-
gegangen zugleich als Wesen und als Sollen da ist. Unbedingtheit ist nicht aus Sosein,
sondern aus Freiheit. Das Unbedingte entscheidet, worauf zuletzt eines Menschen Le-
ben ruht, ob es Gewicht hat oder nichtig ist. Das Unbedingte ist verborgen, nur im

a nach verlor im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. , als Nero seinen Tod forderte
t> nach Scheiterhaufen, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. 11 Seneca, Boethius, Bruno sind Menschen
mit ihren Schwächen, ihrem Versagen, wie wir es sind. Sie haben sich selbst gewonnen. Sie sind
darum wirkliche Wegweiser auch für uns. Denn Heilige sind doch Gestalten, die sich für uns nur
in der Dämmerung oder in dem irrealen Licht mythischer Anschauung halten können, dem rea-
listischen Zusehen aber nicht standhalten. Die Unbedingtheit, deren Menschen als Menschen fä-
hig waren, gibt uns wirkliche Ermutigung, während das Imaginäre nur existentiell unwirksame
Erbauung und Traum ermöglicht. 11
c vor wie im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. es kann in Gedankenlosigkeit aus Gehorsam, aus Nach-
ahmung, weil alle sich so verhalten, aus dem hingenommenen Zwang der Situation in einer rest-
losen Gleichgültigkeit geschehen,
d nach nicht im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. eigentlich
 
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