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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0058
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Grundsätze des Philosophierens

55

Grunderfahrung seines Wesens stammt. Dieser Glaube fasst in eins seine Unvollend-
barkeit und seine Möglichkeit, seine Gebundenheit3 und seine Freiheit.
a. Historische Beispiele für die Weise, wie der Mensch sich gesehen hat. - Wie dem
Menschen das Bild des Menschen vor Augen stand, ist das Kennzeichen seines Selbst-
bewusstseins und des Wissens um seine Aufgaben. Aus dem historischen Felde, auf
dem diese Bilder erwachsen sind,b seien wenige charakteristische Fälle ausgewählt: wie
die Hinfälligkeit und die Verlorenheit und wie die in beiden gegründete ausserordent-
liche Möglichkeit gedacht wurde.
Der Grieche wusste, dass kein Mensch vor seinem Tode glücklich zu preisen sei; erc
ist einem ungewissen Schicksal preisgegeben; dasd Mass des Menschen zu vergessen,
ist Hybris; sie führt zum um so tieferen Fall. Aber der Grieche wusste zugleich: Viel Ge-
waltiges ist, aber nichts Gewaltigeres als der Mensch.54
Das alte Testament6 spricht die Nichtigkeit des Menschen aus:
Des Menschen Tage sind gleich dem Gras
wie die Blüte des Feldes, so blüht er.
Wenn der Wind darüber fährt, ist er nicht mehr,
und seine Stätte kennt ihn nicht mehr (Psalm 103).f55
Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst (Psalm 8).g56
Die Christen11 wussten um die Grenze des Menschen so radikal, dass sie diese sogar'
im Gottmenschen sahen: Jesus erfuhr in tiefster Qual, was er am Kreuz mit dem Psalm-
wort aussprach: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.57 Der Mensch
kann nicht auf sich selbst stehen.

a seine Gebundenheit im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu sein Gefesseltsein
b Aus dem historischen Felde, auf dem diese Bilder erwachsen sind, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs.
Vdg. zu Aus solchen Bildern
c sei; er im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu sei. Er
d das im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu die Menschen vergehen, wie die Blätter im Walde. Das
e nach Testament im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. kennt die gleiche Polarität. Es
f nach (Psalm 103). im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. || Und wiederum wird die Grösse des Men-
schen gesehen: ||
g Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst (Psalm 8). im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu Was
ist der Mensch, dass du sein gedenkst [?] / Du liessest ihn um Weniges hinter Gottwesen zurück-
stehen, / Machst ihn zum Herrscher über deiner Hände Werke, / Alles hast du ihm zu Füssen ge-
legt. (Psalm 8) 11 Hinausgehoben aber über dieses vielen Völkern gemeinsame Bild von Hinfällig-
keit und Grösse des Menschen ist im alten Testament der Mensch als Ebenbild der Gottheit: Gott
schuf den Menschen nach seinem Bilde. Der Mensch fiel ab und birgt in sich nun beides: die Gott-
ebenbildlichkeit und die Sünde. 11
h nach Christen im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. blieben auf diesem Wege. Sie
i nach sogar im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. noch
 
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