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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0064
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Grundsätze des Philosophierens 61
Es gibt das plötzliche Erleuchtetsein durch spekulatives Denken, bis zum Ruck in
der Verwandlung des Seinsbewusstseins. Keine Lehre kann geben, um was es sich hier
handelt, sie kann nur vorbereiten. Ein jeder muss allein durch sich selber dazu kom-
men. Aber dieses durch sich selber wird erfahren als von Gott gewirkt, weil es nicht zu
machen ist und weil kein Bewusstsein davon eintritt, wie es geschehen konnte. So ha-
ben Philosophen (Anselm, Nicolaus Cusanus, Descartes) ihre entscheidenden Gedan-
ken als von Gott eingegeben oder doch als inspiriert (Nietzsche)69 erfahren.
Kierkegaard vollzog seine Selbstreflexion inbezug auf Gottes Führung derart, dass
er ständig sich in Gottes Hand wusste: durch das von Kierkegaard Getane und durch
das in der Welt ihm Geschehene hörte er Gott und erfuhr doch jedes Gehörte in sei-
ner Vieldeutigkeit. Nicht eine Führung in bestimmter Greifbarkeit und unmittelbar
eindeutigem Gebotensein lenkte ihn, sondern die Führung durch die Freiheit selbst,
die sich im transzendenten Grunde gebunden weiss.
Sokrates hörte sein Daimonion, das ihm verbot, ohne dass er gleich begriff, warum.
Von seiner Aufgabe sagt er in der Apologie: »Mir ist sie von der Gottheit zugewiesen
durch Orakel, durch Träume und durch alle möglichen Zeichen, durch welche der gött-
liche Wille überhaupt dem Menschen kund gegeben wird.«70
b. Offenbarung (an den Einzelnen, als allgemeingiltige Autorität, durch Überliefe-
rung). - Mitteilung seitens Gottes heißt Offenbarung. Offenbarung im engeren Sinne
heisst historisch bestimmte3 Objektivität von Gottes Tun und Gottes Wort; sie erhebt
den Anspruch, direkt und allgemeingiltig für alle die ausschliessende Wahrheit
schlechthin zu sein. Offenbarung im weiteren Sinne heisst jede Weise der Objektivi-
tät, in der ein Mensch sich indirekt des Willens Gottes gewiss zu werden glaubt.
Offenbarung in engerem Sinne ist an sich fraglich. Denn Offenbarung, welche sich
als absolute Wahrheit an alle wendet, gibt es in der Welt doch nur als den Anspruch
von Menschen, denen nach ihrer Aussage Offenbarung zu teil wurde. Man kann sol-
chen Menschen glauben und dann der von ihnen mitgeteilten Offenbarung unbeding-
ten Gehorsam leisten. Oder man kann den Inhalt dieser Offenbarung unter Bedingun-
gen einer Prüfung stellen, die erst entscheidet, ob und wie weit dieser Inhalt von Gott
kommen könnte.
Offenbarung im weiteren Sinne dagegen ist nur fraglich, soweit Gottes Sein frag-
lich ist. Für den Menschen aber, der mit Gottb lebt, gibt es auch irgendeine Weise der
Offenbarung. Denn Gott bliebe ein Gegenstand blosser Stimmung, wenn er sich nicht
offenbarte. Da aber Offenbarung für die philosophische Vergewisserung nirgends ob-
jektiv und endgiltig vorliegt, so ist die Weise der möglichen Sprache Gottes, der Füh-
rung durch ihn, in mehreren Richtungen zu erörtern:

a nach bestimmte im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. direkte
b Gott im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu der Transcendenz
 
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