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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0073
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Grundsätze des Philosophierens

Gottes im Ethischen. Diese Forderungen können zwar anerkannt und befolgt werden
ohne Gottesglauben in herber Beschränkung auf das, was der Mensch tun kann; die
Möglichkeit von Gottes Sein bleibt dann offen, wird weder bejaht noch geleugnet. Aber
der Ernst des Gehorsams gegen das in Freiheit einsichtige ethische Gebot pflegt durch-
weg3 verbunden zu sein mit Hören von Gottes Stimme gerade in dieser Freiheit.
Weil jedoch das konkrete Handeln sich aus dem Allgemeinen, an dem es sich prüft,
nicht zureichend ableiten lässt, ist Gottes Führung in dem Ursprung der geschichtlich
konkreten Forderung unmittelbarer hörbar als im Allgemeinen. Dieses Hören aber
bleibt in aller Gewissheit fraglich; es wird nicht objektiv gewiss in der Freiheit, der sich
die Notwendigkeit des So-tun-müssens zeigt. Im Wesen solchen Hörens auf Gottes
Führung liegt vielmehr das Wagnis des Verfehlens, daher eine Bescheidung. Diese
schliesst die Sicherheit in der Gewissheit aus, verbietet die Verallgemeinerung des ei-
genen Tuns zur Forderung für alle und verwehrtb den Fanatismus. Auch die reinste Klar-
heit des Weges, wie er unter Gottes Führung gesehen wird, darf daher nicht zur Selbst-
gewissheit führen, als ob der Weg der einzigec wahre für alle sei.
Denn es kann in der Folge immer alles noch anders aussehen. In der Helle kann
doch ein Irrweg beschritten sein. Selbst in der Gewissheit des Entschlusses muss, so-
weit er in der Welt erscheint, eine Schwebe bleiben. Denn der Hochmut des absolut
Wahren ist die grösste Gefahr für die Wahrheit in der Welt. In der augenblicklichen
Gewissheit ist die Demut der bleibenden Frage unerlässlich.
Erst im Rückblick kann das grösste Staunen möglich sein angesichts einer unbe-
greiflichen Führung. Aber auch da ist es nie gewiss, wird die wahre Führung Gottes
nicht zu einem Besitz.
Psychologisch angesehen ist die Stimme Gottes nur in hohen Augenblicken wahr-
nehmbar. Aus ihnen her und zu ihnen hin leben wir. Man wendet ein, solche Augen-
blicke seien zerstreut, vereinzelt, ohne Verlass, erst die objektive Offenbarung für alle
gebe die Kontinuität. Das aber ist beim Kirchengläubigen nicht anders, auch er lebt
nicht ständig in Gott, sondern ist angewiesen auf seine hohen Augenblicke.
Die Stimme Gottes als Urteil über den Menschen hat keinen anderen Ausdruck in
der Zeit als im Urteil des Menschen über sich selbst. In der freien, redlichen Weise des
urteilenden Selbstwahrnehmens, in der Zufriedenheit mit sich und in der Selbstan-
klage, findet der Mensch indirekt, wenn auch nie endgiltig und immer auch noch zwei-
deutig, Gottes Urteil.
g. Der Bezug auf Transzendenz als Begegnung mit Gott. - Der Bezug unseres We-
sens auf Transzendenz kann in der Kargheit des Anschauungslosen (in der Verloren-

a durchweg im Vorlesungs-Ms. 1945/46 gestr.
t> nach verwehrt im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. damit
c einzige im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu einzig
 
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