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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0088
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Grundsätze des Philosophierens

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1. Was weiss ich? Die Antwort zeigt die Subjekt-Objekt-Beziehung als universale
Form unseres bewussten Wissens und Innewerdens, zeigt die Erscheinungshaftigkeit
des Daseins als Grundcharakter dessen, was uns als Gegenstand vor Auge und Gedanke
kommt, und damit das Schwebende aller Realität.
2. Was ist eigentlich? Die Antwort geht über die Vergegenwärtigung des Umgrei-
fenden, das wir sind, und in dem wir sind.
3. Was ist Wahrheit? Die Antwort zeigt den vielfachen Wahrheitssinn, wie er her-
vorgeht aus den Weisen des Umgreifenden, in denen er gilt, und zeigt den Sinn des Su-
chens der Einen Wahrheit.
4. Wie weiss ich? Die Antwort zeigt die Methoden unseres Denkens und damit den
Sinn unserer Aussagen; sie wird vollständig erst in einer systematischen Kategorien-
und Methodenlehre.
Was in diesen vier Fragen hier erörtert werden soll, ist nur ein kurzer Hinweis.
1. Was weiss ich?
a. Unmittelbarkeit und Realität. - Die Wirklichkeit meinen wir im Unmittelbaren ge-
wiss zu ergreifen, im Hier und Jetzt, dem sinnlich Gegenwärtigen, dem Erlebten. Doch
dies täuscht uns: 1) Jedes Unmittelbare verschwindet schon, wenn wir es erfassen wol-
len, und ist ein anderes geworden; seine Bewegung lässt in der Verwandlung keinen
festen Boden des Soseins finden. - 2) Als Wirklichkeit ergriffen ist das Unmittelbare
durchleuchtet von Sinn, auf den der Erlebende gerichtet ist, oder es ist verloren in der
Gegenstandslosigkeit eines Sinnfremden; das nur Unmittelbare ist auch unerinner-
bar. - 3) Als Realität ist das Unmittelbare fühlbar gewiss, aber ausgesagt ist es nicht
mehr dieses Unmittelbare, sondern ein Allgemeines und im Zusammenhang eines All-
gemeinen; das Unmittelbare als solches ist unaussagbar. Klar gegenwärtig wird es nur
als solches Allgemeines in Abgrenzung von anderem, nicht mehr gegenwärtigen Un-
mittelbaren; es ist, was es für uns ist, dann aber durch Vermittlung des Vergleichs mit
anderem.
Daher ist in uns der Antrieb, im Unmittelbaren als solchem nirgends zufrieden zu
sein. Wir werten es nach dem Maasse seiner Aufnahme in den Sinnzusammenhang
unseres Lebens, seiner Steigerung durch solchen Sinn, seiner Befestigung im Unver-
lierbaren.
Insbesondere geht unser Erkennen, obgleich dem Unmittelbaren entsprungen und
im Unmittelbaren sich bestätigend, auf etwas, das an sich gerade nicht unmittelbar
ist. So geht die Erkenntnis der Realität über das Unmittelbare hinaus auf die Realität in
ihrem Zusammenhang. Diese muss zwar zuletzt wieder durch Unmittelbarkeiten ve-
rifieiert werden, aber derart, dass es sich um kontrollierte, mit anderen verglichene, in
der Erfahrung wiederholte Unmittelbarkeiten handelt. Die Unmittelbarkeit an sich ist
 
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