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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0089
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Grundsätze des Philosophierens

täuschend, sie kann bloss subjektive Erlebnisweise, kann Sinnestäuschung und Schein
sein. Unmittelbarkeit ist Kennzeichen der Realität nur durch ihre sich bewährende
Rolle im Zusammenhang der Erfahrung.
b. Realität in der Praxis, im Weltbild und in der Wissenschaft. - Was wir als Reali-
tät wissen, ist uns zunächst gegenwärtig in der Praxis, im Umgang mit den Stoffen, den
Sachen, dem Lebendigen in unserer Welt, von dem alltäglichen Umgang eines jeden
in seiner Umwelt bis zum bestimmten handwerklichen Können und zum technischen
Einrichten einerseits, bis zum geschulten Umgang mit Menschen und zum methodi-
schen Führen, Ordnen und Verwalten3 andererseits.
Was in der Praxis begegnet, wird in wissenschaftlicher Erkenntnis geklärt, zur Ver-
fügung gestellt und wiederum für neue Praxis genutzt; oder es wird über alle Interes-
sen in der Umwelt des Daseins hinaus gesucht, um ein Wissen von der Realität in ih-
rem gesamten Umfange zu erwerben.
Dieses empirische Wissen ist als wissenschaftliches charakterisiert durch Methode,
durch systematische Einheit alles jeweils Gewussten im Ergreifen der Aufgabe des Fort-
schreitens über das vielerlei Zerstreute zu den Principien, in denen es zusammenhängt.
Dieses Wissen scheint sich abzuschliessen im Weltbild. Die gesamte Realität soll als
eine einzige überall in sich bezogene Welt, als das Weltganze im Weltbild vor Augen
treten. Wenn dieses auch jederzeit unvollständig und correkturbedürftig sei, so sei es
doch jederzeit das Ergebnis des Erkennens und sei im Princip erreichbar als die Gestalt,
in der das Sein als Realität im Ganzen zugänglich wird. Das Weltbild soll die Gesamt-
heit des in sich zusammenhängenden Wissens umfassen.
Dieses Ziel beruht jedoch auf einem Irrtum. Weltbilder standen am Anfang des
menschlichen Erkennens; und ein Weltbild will jederzeit der naiv Erkennende, um des
Ganzen in Einem gewiss zu sein. Aber die kritische Wissenschaft lehrt in ihrem Fort-
gang, dass nicht nur bisher j edes Weltbild als falsch zusammengebrochen ist, sondern
dass die systematischen Einheiten des Erkennens, die in der Tat Idee und Aufgabe der
Wissenschaften sind, heterogene werden, je klarer, entschiedener, fruchtbarer die Er-
kenntnis wird. Es zeigen sich Sprünge zwischen den Einheiten, zwischen der physika-
lischen Welt, der Welt des Lebens, der Welt der Seele, der Welt des Geistes. Zwar ste-
hen diese Welten in einem Zusammenhang, sind sie geordnet in einer Stufenfolge,
derart, dass die Realität der späteren Stufe zu ihrem Dasein die der früheren voraus-
setzt, während die Realität der früheren ohne die der späteren bestehen kann; es wur-
den nur immer vergebliche Versuche gemacht, die späteren aus den früheren abzulei-
ten, wobei jedesmal um so deutlicher am Ende der Sprung zu Tage trat. Aber das eine
Ganze der Welt, zu der alle die erkenntnismässig erforschbaren Einheiten gehören, ist
selber keine Einheit, die etwa einer umfassenden Theorie unterworfen werden, als eine

Führen, Ordnen und Verwalten in der Ab schrift Gertrud Jaspers hs. Vdg. für Führen und Beherrschen
 
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