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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0116
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III. Teil

Wie der Mensch sich in der Welt
ZURECHTFINDEN KANN

In der Welt sind wir angetrieben: wir haben nicht, was wir noch suchen müssen; es
steht vor uns als das unmittelbar Begehrte, dann als das planend Bezweckte. Aber das
Begehrte und Bezweckte, was es auch sei, macht, wenn es erreicht ist, nicht dauernd
zufrieden. Es ist die Frage, was der Endzweck sei, d.h. die Vollendung, in der nicht mehr
ein Weiteres gewollt werde, sondern wo endgiltige Zufriedenheit statt endlosen Mehr-
wollens herrsche.
Da ist nun der Grundtatbestand: Es gibt in der Welt keine Vollendung im Ganzen,
es gibt keine richtige Welteinrichtung, es gibt keinen wahren Dauerzustand. Zeit als
solche bedeutet zugleich, dass Bewegung sein muss. Sie bedeutet für den Menschen,
dass es für ihn keinen Abschluss, sondern nur ein abbrechendes Ende, keine Vollen-
dung, sondern nur Offenheit und Aufgabe gibt, solange er lebt.
Gegen diese eindeutige Formulierung steht aber eine andere Wirklichkeit: Es gibt
doch Vollendung. Wir sind in der Zeit nicht nur an ein Rad der Qual gebunden, durch
das wir vorangetrieben werden, ohne andere Wirklichkeit als vergebliches Streben und
Sehnen, bis der Tod diesem Suchen ein Ende setzt. Vielmehr kennen wir in der Bewe-
gung das gegenwärtige Innewerden des Seins. Es gibt Vollendung gleichsam quer zur
Zeit, nicht als Ziel, das später einmal erreichbar scheint, sondern als jederzeitige Mög-
lichkeit und stete Gegenwärtigkeit. Diese Vollendung ist dort, wo wir eigentlich lieben.
Sich in der Welt zurechtfinden heisst: in der Welt das Begehrte und Bezweckte so
zu treffen, dass darin das eigentliche Sein aufgeht. Denn dies zeigt sich nicht in der
Endlichkeit des Begehrten und Bezweckten als solchen, sondern in der Bewegung
durch sie hindurch aus den ewigen Gehalten, welche in ihnen ungreifbar offenbar wer-
den können. In der Erscheinung zeitlicher Bewegung, in der Hingerissenheit, im
Kampf, in der stillen Gegenwart, in der liebenden Communication, in allem, was als
solches vergänglich ist und wie ein Spiel zu verschwinden scheint, kann sich das Sein
fühlbar machen. An ihm teilzugewinnen, die Ewigkeit in der Zeit zu spüren, das ist der
Sinn des Sichzurechtfindens in der Welt.
Unsere Erörterungen nehmen folgenden Gang. Wir vergegenwärtigen zunächst die
Grunderfahrung, dass wir uns in der Welt immer schon in bestimmten Situationen
 
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