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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0154
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Grundsätze des Philosophierens 151
c. Wissenschaft und Philosophie
Es ist das Kennzeichen der Philosophie, dass sie bei ihrem Sichzurechtfinden in der
Welt die Wissenschaft sich zu eigen macht, wie es das Kennzeichen der Wissenschaf-
ten ist, am Ende zur Philosophie zu drängen. Sichzurechtfinden in der Welt kann we-
der durch Wissenschaft noch durch Philosophie allein gelingen.
Niemals in der Geschichte hat Wissenschaft das Weltgeschehen so entscheidend
bestimmt wie in den letzten beiden Jahrhunderten und heute. Aber vielleicht auch
niemals seit zweieinhalb Jahrtausenden ist die Philosophie so gering geschätzt, ja ver-
achtet worden, wie in diesen Zeiten, obgleich sie noch ausserordentliche Werke her-
vorbrachte, und obgleich oder weil sie - vergeblich - als Wissenschaft im Kreise der
neuen Wissenschaften auftrat. Wissenschaften haben das Meiste, was im Namen der
Philosophie als Erkenntnis behauptet wurde, kritisch zersetzt.
Durch solche Erfahrung ist Philosophie zu neuer Besinnung auf ihr eigenes Wesen
gekommen. Sie ist ihres von allen Wissenschaften unabhängigen Ursprungs bewusst
geworden. Eine Trennung von Philosophie und Wissenschaft schien notwendig,
ebenso wie die rechte Weise ihrer Verbindung. Der Philosophie ist durch die mit den
Wissenschaften entstandene geistige Situation die Aufgabe der Wiederherstellung aus
ihrem eigenen Ursprung erwachsen.
Weil Wissenschaft eine noch nie erreichte Reinheit, Weite und Wirksamkeit ge-
wann, so dass sie zum Orientierungspunkt des Menschen wurde, bekam die Frage, was
sie sei, was sie könne, was sie wert sei, und die Frage, ob auch Philosophie eine Wissen-
schaft sei oder wie sie sich zur Wissenschaft verhalte, einen für das Zeitalter kennzeich-
nenden Charakter. Man kann nicht sagen, dass diese Frage einmütig beantwortet
werde. Aber man darf sagen, dass es eine Aufgabe des Zeitalters sei, das Wahrheitsbe-
wusstsein zu verwirklichen durch die Weise der Unterscheidung von Philosophie und
Wissenschaft und durch die Weise der Bindung beider aneinander. Einige Thesen aus
diesem Fragenkreis aufzustellen, ist die Absicht der folgenden Ausführungen.
aa. Engerer und weiterer Begriff von Wissenschaft.126 - Wenn die moderne Wissen-
schaft durch ihre Abgrenzung das ursprünglich philosophische Denken erst voll be-
wusst gemacht hat, so wurde damit von ihr zugleich ein Sinn von Denken freigegeben,
der ein anderer ist, als den sie selber vollzieht. Denn es gibt das Denken, in dem zwar
keine zwingende Allgemeingiltigkeit für den blossen Verstand erreicht wird, das aber
Gehalte offenbart, die das Leben tragen. Dieses Denken dringt erhellend, nicht erken-
nend, in den Grund des Seins. Die Wissenschaft ist als zwingende und allgemeingil-
tige, als forschende und entscheidende auf einen bestimmten Bereich des Erkennba-
ren beschränkt. Gegenüber diesem engeren Sinn von Wissenschaft giebt es also einen

schäft bleibt, im concreten Fall bei Nietzsche oft genug nicht blos als Übertreibung, sondern als
falsch erklären muss. 11
 
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