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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0212
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Grundsätze des Philosophierens

209

rung der atomtheoretischen Behandlung in den meisten Fällen auf unübersteigliche
mathematische Schwierigkeiten stossen würde.«159 Man darf fragen, woran das liege.
Die Antwort wird sein: entweder daran, dass die Schwierigkeiten an sich lösbar seien,
dass aber die mathematischen Mittel, in deren Besitz man ist, noch nicht ausreichen, -
oder daran, dass die Aufgabe grundsätzlich unlösbar, weil sie endlos sei, - oder daran,
dass sie grundsätzlich unlösbar sei, weil ein Sprung in der Sache selber liege, der nicht
durch quantitative Ableitung überwindbar sei.
Die neue Einheit der Natur durch die Erkenntnis der Atomphysik ist zu vergleichen
mit dem ersten Schritt zur Einheit der Natur, der Erkenntnis der Erhaltung der Ener-
gie. Grundsätzlich scheint hier das Gleiche geschehen. Eine Naturerkenntnis, die aus-
nahmslos überall gilt, ein jedes Geschehen betrifft, die Einheit der Natur an einem
Punkte erfasst, von dem aus eine schlechthin universale Ansicht entsteht.
Der Satz von der Erhaltung der Energie brachte eine grossartige Einheit in das Natur-
wissen. In allen Umsetzungen der Energiearten gibt es die Äquivalenz der Energiemen-
gen, angefangen mit der Äquivalenz zwischen mechanischer und thermischer Energie.
Wieviel von einer Energieart einem wieviel der anderen entspricht, wurde zahlenmässig
festgelegt und als gleichbleibend beobachtet. In allen Umformungen der Energie bleibt
ein Quantitatives übereinstimmend erhalten, die Energie überhaupt, welche in allen be-
sonderen Energien nur ihre Modifikation hat. Aber diese Einheit war grob. Nur diese eine
totale Äquivalenz brachte den Zusammenhang. Darüber aber, was Energie sei, welche
einzelnen Erscheinungsweisen der Energie es gebe oder geben müsse, darüber, dass es sie
gibt, gewann man durch die grosse vereinheitlichende Einsicht keine Erkenntnis.
Die modernen Ableitungen der Erscheinungen aus der Atomphysik bringen nun
zwar eine viel reichere Erkenntnis als die Energielehre. Die neue Einheit bringt viel nä-
her an die besonderen Eigenschaften der Materie und des Geschehens heran. Statt des
einen weitmaschigen Netzes der quantitativen Äquivalenz zieht sich ein viel dichte-
res Netz mit mannigfachen quantitativen Beziehungen über die Materie. Aber im Prin-
cip bleibt es dasselbe, nicht nur die Begrenzung auf Quantificierbares, sondern auch
die Begrenzung der Ableitungen. Was eigentlich die letzten Bestandteile, Elektronen,
Protonen, Neutronen usw., was die mit ihnen stattfindenden Synthesen und Energie-
umsetzungen inbezug auf die qualitativen Eigenschaften der Stoffe und Geschehnisse
eigentlich sind, das bleibt dunkel. Es ist - im Gleichnis zu reden -, als ob der Strom der
Energie nicht mehr in wenigen ungeheuren Strombetten gemessen würde, sondern in
minutiös[,] aber regelmässig verteilten Bewässerungen verfolgt würde. Was aber das
Strömende ist und in sich birgt, das bleibt immer die Erkenntnisgrenze. Es ist nach der
Seite seiner Messbarkeiten in allen Umsetzungen erfasst, sein Wesen ist in der Mannig-
faltigkeit, die auf wenige Grundkonstanten des Naturseins zurückgebracht ist, von ei-
ner Seite her erleuchtet, aber das Wesen selber bleibt im Dunkel und alles, was daraus
wird. Die Einheit ist nicht die Einheit der Realität, sondern die Einheit gleichsam ei-
 
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