Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0215
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
212

Grundsätze des Philosophierens

begreiflich. Dieses ist jedoch ein in der Tat leerer Gedanke, der durch keine Erfahrung
erfüllbar ist und zu keiner Forschung den Ansatz gibt. Ein solcher Gedanke ist kein na-
turwissenschaftlicher, sondern ein metaphysischer. Wenn aber metaphysisch gedacht
wird, so ist die gesamte Welt, wie sie für uns aussieht, Erscheinung, die selber unvoll-
endbar so wie sie ist aus der Tiefe erwächst, aus der auch der Mensch kommt, aus dem
Grunde, den der Mensch erspürt über die Welt hinaus.
Irgendeinen Ansatz der Erkenntnis, dass das Bewusstsein aus dem biologisch von
aussen erkennbaren Leben erwachsen, und dieses daher rückwärts durch die Inner-
lichkeit des Bewusstseins erkennbar sei, gibt es nicht.
ddd. Daher ist das »von innen« des Lebens entweder etwas, das Grenze und Rätsel
des biologischen Erkennens bedeutet. Oder es ist die Realität, welche Gegenstand der
Psychologie ist, deren Grenze ins Tierreich hinein unbestimmt ist. Diese Realität hat
ihre Untersuchungsobjekte im verstehbaren »Ausdruck« und im »Verhalten« der Tiere,
soweit Kriterien einer Prüfung im Vergleichen anwendbar sind.
Äusser diesen beiden Möglichkeiten ist das »Innen« ein für die Forschung unergie-
biger Gedanke. Wenn er zur Bezeichnung von Tatbeständen, die auch ohne ihn auf-
findbar sind oder aufgefunden sind, gebraucht wird, so ist das keine Erkenntnis. Die
Frage M. Hartmann’s, welche Methode es gäbe, um von dem unräumlichen Innen der
Organismen Kenntnis zu erlangen, und welche Ergebnisse wir dieser Methode verdan-
ken, hat Woltereck wohl allzu leicht abgetan (Ontologie des Lebendigen S. 475).162
3. In dem Antrieb, die Natur und das Leben als das eine, ganze, progressive Gesche-
hen monistisch zu sehen, liegt neben dem methodisch-systematischen Gedanken des
Forschens vor allem ein philosophisches Ziel. Es ist etwas wie Liebe, Vertrauen, Gebor-
genheit im Lebensganzen als Stimmung da. Diese sprechen sich, sich selber missver-
stehend [,] aus. Sie sind gerichtet auf das Eine, das seine Tiefe für Existenz zeigt, und
bringen es fälschlich als naturwissenschaftliches Forschungsergebnis oder For-
schungsziel vor Augen.
dd. Das eine Ganze des Kosmos: Das eine Ganze der Welt scheint im All der Sterne
real anschaulich. Das ist die Welt, das ist alles.
Aber so leicht das Wort »Welt« gesagt ist, so selbstverständlich ihr Dasein scheint,
so dunkel wird diese Realität, wenn man sie deutlich wissen will. Die Welt ist, so ha-
ben wir durch Kant begriffen, nicht Gegenstand[,] sondern Idee.
Seit alters besteht die Frage, ob die Welt endlich oder unendlich sei. Ihre Endlichkeit
schien im Altertum und im christlichen Weltbild selbstverständlich. Ihre Unendlich-
keit, vom Cusaner christlich als Abbild von Gottes wahrer Unendlichkeit gedacht,163
wurde für Bruno selbständige Unendlichkeit und Zeichen der Göttlichkeit der Welt sel-
ber.164 Kant zeigte die Antinomie: die Welt kann ohne Widerspruch weder endlich noch
unendlich gedacht werden; ihre Fixierung zu einem endlichen oder unendlichen er-
kennbaren Dasein würde die Welt verwandeln zum Ding an sich und Freiheit aufheben.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften