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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0242
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Grundsätze des Philosophierens

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sen vorkommenden Psychosen, unmerkliche Rassezüchtungen. Dann vor allem Spra-
che und Feuer- und Werkzeugsgebrauch. Charaktereigenschaften sind entstanden, so
eine eigentümliche, auch manchen Affen[,] aber keineswegs allen Tieren zukommende
Bosheit; die Möglichkeit, die geschlechtliche Eifersucht durch Männersolidarität zu-
rückzudrängen und damit Staatsbildung einzuleiten (während bei Tieren nur vorüber-
gehende, durch jede Brunstzeit gesprengte Herdenbildungen oder durch Asexualität
der Meisten ermöglichte Dauerbildungen wie bei Ameisen vorkommen); Weisen der
Selbstvergewaltigung, wie durch Tabu’s.
Der Mensch muss in seinem Ursprung ein Wesen sein, dasa jeder endgültigen Fi-
xierung ausweicht, während die Tiere in den Specialisierungen ihrer für bestimmte
Aufgaben geeigneten Organe sich zu den Besonderheiten engster Umwelten sich ver-
lieren. In seiner Schwäche gegenüber den Tieren hat der Mensch Überlegenheit durch
Bewusstsein, Denken, Geist. Vermöge des Ausbleibens der Organspecialisierungen
bleibt er offen für Möglichkeiten einer Weltbildung, in der die Organe durch Werk-
zeuge ersetzt werden. Weil der Mensch (im Vergleich zu den Tieren) brüchig ist, kann
er unendlich durch Freiheit in den Gang eines geistigen Sichverwandelns eintreten zu
unabsehbarer Steigerung. Er wurde, statt wie Tiere nur den natürlichen Kreislauf des
Lebens ins Endlose gleichbleibend zu wiederholen, fähig zur Geschichte.
Es geschah in unbestimmbaren Zeiten und Zeiträumen die Ausbreitung des Men-
schen über den Erdball, das zerstreute Geschehen in jeweils begrenzten Bereichen,
endlos zersplittert, darin aber etwas umfassend Einheitliches: die grossen, langsamen
Processe der unmerklichen Rassezüchtungen, der Sprachbildungen und Mythenbil-
dungen, der stillen Ausbreitungen der technischen Erfindungen und Kulturgüter, der
Wanderungen. Immer handelt es sich um bewusstseinslose, zwar schon menschliche,
aber der Natur noch verhaftete Geschehnisse.
2. Geschichte: Es finden menschliche Vereinigungen statt im Blick auf andere
menschliche Vereinigungen. Man weiss von einander, blickt auf einander. Die Zer-
streutheit findet sich zusammen im Kampf und zu neuen umfassenderen Einheitsbil-
dungen. Menschen in primitiven Zuständen sind seit unvordenklichen Zeiten über
den ganzen Erdball verbreitet als sogenannte Naturvölker bis in die letzten Jahrhun-
derte, in denen sie mit wenigen Ausnahmen (vor allem der Schwarzen) der abendlän-
dischen Civilisation erlagen und ausstarben. Aber alle diese Gebilde sind noch nicht
Geschichte.
Geschichte beginnt mit bewusster Überlieferung, mit verlässlichen Erinnerungen,
d.h. Geschichte ist nicht ohne Bewusstsein ihrer selber. Die heute wieder bekannt ge-
wordenen Anfänge solcher Geschichte gehen bis ins 4. Jahrtausend, hypothetisch
noch weiter zurück.

statt das im Ms. dass
 
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