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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0251
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Grundsätze des Philosophierens

parate wie Augenspiegel. Für anderes waren moderne Erkenntnisse Voraussetzung, wäh-
rend die Durchführung durchaus mit alten Mitteln möglich war: ein grosser Teil der
Seuchenbekämpfung, Operationen mit Anaesthesie und Asepsis. Die traditionelle
Stumpfheit im Leben mit dem Unbequemen und Unzweckmässigen scheint in unse-
rem Zeitalter durch den Erfindungsgeist radikal überwunden.
Zu allem kommt als das specifisch Moderne die Systematik des Erfindens. Es wird
nicht mehr hier und da von Einzelnen zufällig etwas erfunden, sondern die techni-
schen Erfindungen sind in einen Bewegungsprocess geraten, an dem zahllose Men-
schen teilnehmen. Einige wenige principielle Erfindungsakte geben zuweilen einen
neuen Anstoss. Das Meiste geschieht im Entwickeln der Erfindungen, den ständigen
Verbesserungen und weiteren Ausnutzungen. Alles wird anonym. Die Leistung des
Einzelnen verschwindet in der Leistung der Gesamtheit. So entstanden die vollkom-
menen Formen z.B. des Fahrrads, des Automobils je in relativ kurzer Zeit.
Das technisch Nützliche muss auch wirtschaftlich nützlich sein. Der Erfindungs-
geist als solcher hält sich von diesem Zwang unabhängig. Er geht in seinen ganzen An-
trieben auf die Schöpfung gleichsam einer zweiten Welt. Was er hervorbringt, wird
aber technisch verwirklicht nur in dem Masse[,] als der wirtschaftliche Nutzen oder
der über Macht verfügende Wille den Raum dafür gibt.
Die Arbeitsorganisation wird zur Frage an das Menschsein, zumal wenn fast alle
Menschen Glieder im technischen Arbeitsprocess werden. Weil das Letzte für den Men-
schen der Mensch und nicht die Technik ist, die Technik im Dienst des Menschen und
nicht der Mensch im Dienst der Technik stehen soll, setzt aufgrund der modernen Tech-
nik ein sociologisch-politischer Process ein, in dem aus der anfänglichen beliebigen
Unterordnung des Menschen als Arbeitskraft unter die technischen und wirtschaftli-
chen Zwecke eine Umkehrung dieses Verhältnisses leidenschaftlich erstrebt wird.
cc. Grenzen der Technik:196
Der Technik sind manchmal falsche Grenzen gesetzt worden aus einem falschen
dogmatischen Naturwissen heraus, das z.B. noch vor etwa einem halben Jahrhundert
gelegentlich das Fliegen, ja das Luftschiff für unmöglich erklärte. Was der Mensch
durch Erkenntnis an Naturbeherrschung erreichen kann, ist in der Tat unabsehbar.
Die Phantasie kann sich Ausserordentliches erdenken, ohne durch ein absolutes Un-
möglich eingeschränkt zu werden - bis zur technischen Nutzung der Atomenergie, bis
zur absichtlichen Sprengung des Erdballs und bis zum Raumschiff. Wenn grundsätz-
lich mit Recht das perpetuum mobile als unmöglich erkannt wurde, so bleibt doch die
Auffindung einer jederzeit verfügbaren praktisch unerschöpflichen Energiequelle
möglich. Aber der weite Raum der technischen Möglichkeiten darf nicht täuschen
über die Grenze der Technik. Diese Grenzen liegen erstens in ihrem Sinn als solchem,
zweitens in den unüberwindbar bleibenden, technisch unbeherrschbaren Vorausset-
zungen aller technischen Verwirklichungen.
 
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