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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0291
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Grundsätze des Philosophierens

sich haben; für das Leben sind es die Zellen und deren Elemente, weiter in Stufen an-
dere Grundgestalten der Form, des Geschehens in der Zeit, der Funktionszusammen-
hänge; für die Seele sind unter den mannigfachsten Gesichtspunkten eine Unzahl von
Grundfaktoren, Elementen, Grundgestalten versucht worden; für den Geist sind es die
Einheiten der Ideen. Keine Weise der zugrundeliegend gedachten eigentlichen Reali-
tät ist die gesamte Realität selber, gleichsam ihr Kern. Vielmehr ist jede Realität, die be-
stimmt gedacht ist, nur eine Realität für begrenzte Erkenntnisziele. Keine Realität ist
die Realität schlechthin. Wo Erkenntnis bestimmte Realität ergreift, entgleitet ihr die
Realität im Ganzen. In der Bodenlosigkeit der Realität gehen wir beim Erkennen auf
jeweils besondere Grundelemente zurück, ohne dass eine Grenze für ein weiteres Vor-
dringen in das Zugrundeliegende und in neue Zusammenhänge besteht.
bb. Realität der Gemeinschaft: Angesichts der Mannigfaltigkeit der Weisen der Rea-
lität ist nach der besonderen Realität der Gemeinschaft zu fragen. Die Realität der Ge-
meinschaft ist zwar gebunden an Naturrealität als das Fremde und Andere, aber we-
sentlich ist sie Realität, die ich selber bin. Sie ist geistige Realität. Daher werden wir
ihrer nur in einer eigentümlichen Verschlingung inne. Wir finden sie vor und sind sie
selber mit. Wir meinen sie als einen Sinn, den wir bewirken oder bestätigen, und dar-
über hinaus liegt in ihr ein objektiver Sinn, den wir im Geschehen keineswegs zurei-
chend bemerken, vielmehr Schritt für Schritt in einem nur von uns gemeinten Sinn
zu entdecken glauben. Diese Realität ist daher einerseits unabhängig von uns und wie
ein Objektives zu erleiden, zu erforschen; sie ist andrerseits durch das, was wir tun der-
art, dass das, was wir von ihr meinen, selber ein Faktor ihrer Realität wird. Denn unser
Verhalten ist geführt von der Auffassung, welche wir von der Gemeinschaft haben.
Auch wenn wir in voller Distanzierung wieder diese Meinungen meinen als Faktoren
des zu erforschenden oder zu unseren Gunsten zu lenkenden Geschehens, so ist auch
dieses unser Meinen immer wieder ein Faktor des Geschehens selber. Wir können uns
hier nie im gleichen Sinne von unserem Gegenstand trennen wie der Natur gegenüber.
Aber immer muss, was Realität hat, mir auch leibhaftig gegenübertreten, muss als
Körper und als Bewegung in Raum und Zeit da sein. Wie für die Physik die als zugrun-
deliegend erkannte Realität zuletzt in der Leibhaftigkeit da ist, die in Messungen und
Ablesungen festgestellt wird, so ist die Welt unserer Gemeinschaft da im handgreiflich
Gegenwärtigen:
Im Naturzustand kämpft der Mensch mit dem Menschen um Leben und Nahrung
und erfährt leibhaftig die Verbindung zu gemeinschaftlichem Kampf gegen andere und
die gegenseitige Hilfe. So ist es bis heute im Kriege. Das Hand-in-Hand-Arbeiten der No-
madenjäger, Ackerbauern3 ist elementare Realität der friedlichen Gemeinschaft. Diese
ursprünglichen Verhältnisse sind gleichsam kanalisiert in den Ordnungen durch Insti-

a statt Ackerbauern im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers Ackerbauer
 
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