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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0303
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Grundsätze des Philosophierens

Entscheidungen. Im ersten Fall ist sie vorbestimmt, geht in der Sicherheit der Notwen-
digkeit. Im zweiten Fall ist sie Aufgabe, voller Möglichkeiten, steht in der Gefahr des
noch nicht Entschiedenen. Im ersten Fall geht von dem Totalbilde die Ruhe des Unab-
änderlichen aus. Im zweiten Fall gibt es kein Totalbild, sondern nur vielfache Bilder be-
grenzter Möglichkeiten. Beide Auffassungen werden Übergriffen von einer dritten, der
metaphysischen3: Das Ganze ist notwendig im Ablauf, aber nicht nach Naturgesetzen
oder endgültig erkennbaren Regeln, sondern notwendig in einemb Sinn der Vorbestim-
mung (des Verhängnisses, Schicksals, der Vorsehung), in den die erkennbaren Natur-
notwendigkeiten und die Entscheidungen der Freiheit als Faktoren eingegliedert sind.
Ein Totalbild zeigt nicht die erkannte Notwendigkeit, sondern das Tatsächliche, wie es
zusammengefasst jeweils im Bilde sichtbar werden kann. Das Bild macht die Notwen-
digkeit im Symbol fühlbar, begreift sie nicht in anwendbarem Wissen.
Nur im ersten Fall - der von der Naturnotwendigkeit beherrschten und umschlos-
senen Totalität - sind Totalbilder als ein Wissen möglich, das als Erkenntnis gemeint
ist. Wo sie versucht wurden, verbanden sie sich jedoch zumeist mit Momenten aus der
Auffassung des zweiten und dritten Falls. Das Totalbild wurde gedacht erstens als Viel-
fachheit von Kreisläufen im Strom des Geschehens, zweitens als einmalige Entwick-
lung von Anfang bis zum Ende, drittens diese Entwicklung als Fortschritt oder als ein-
malige Kurve von Steigen und Fallen oder als Folge eigenständiger Erfüllungen.
Es kann kein Totalbild gelten. Es ist als absolut stets unwahr. Das vermeintliche To-
talbild kann aber als Schema unter bestimmten Gesichtspunkten für begrenzte
Zwecke - als Schema der Idee - giltig sein, als Rahmen der Auffassung, als Medium des
Antriebs. Als Totalbild wird es wieder eingeschmolzen in die Offenheit des Raums, in
dessen Grenzenlosigkeit wirklich ist das ganz Gegenwärtige und das Umgreifende, das
im Gegenwärtigen sich zur Erscheinung bringt.
Als solche Schemata, jeweils im Besonderen zu prüfen und in ihrer Anwendbarkeit
zu begrenzen, sind die Totalbilder sämtlich brauchbar und in solcher Anwendung sich
nicht widersprechend[,] sondern ergänzend. - Der Aufbau der Altersphasen lässt in kul-
turmorphologischer Betrachtung gewisse Bilder entstehen, die zwar nichts erklären, nur
in grossen Linien treffend sind, im Besonderen versagen, aber als Bilder einen Grund ha-
ben müssen in der Realität, die sie, wenn auch vordergründlich und nur erscheinungs-
haft[,] in grossen Grundzügen aufzufassen gestatten. Als Lehre von den Kreisläufen ist
das Schema anwendbar für Staatsformen (seit Plato, dann bei Polybius, Macchiavelli)
und andere besondere Erscheinungen der Geschichte. Sie sind wertvoll, weil sie im Par-
tikularen eine Folge von Erscheinungen als innerlich verstehbar oder situationsnotwen-

a werden Übergriffen von einer dritten, der metaphysischen im Ms. Vdg. für verbinden sich in ei-
nem Dritten
b nach einem im Ms. gestr. übergreifenden metaphysischen
 
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