Grundsätze des Philosophierens
307
Zweiter Abschnitt: Der Sinn des Planens
Das Planen inbezug auf das Ganze der menschlichen Zustände ist, obgleich immer be-
schränkt, einer Erweiterung ins Unabsehbare fähig.
Es ist der grösste Einschnitt im historischen Bewusstsein, wenn den Menschen
dämmert, dass sie nicht nur einem endgiltigen Sosein der Zustände preisgegeben sind,
sondern dass es in ihrer Hand liegt, sie zu ändern. Die Weise dieses Änderns wird zum
Schicksal, das wir nicht nur erleiden[,] sondern ergreifen.
Aber das Erwachen des Planens inbezug auf das Ganze der menschlichen Zustände
ist, obgleich die Geburt einer höchsten Möglichkeit im Dasein, doch zugleich eine Ka-
tastrophe.
Wie die Entstehung der radikalen Wissenschaftlichkeit in den neueren Jahrhun-
derten, so ist die radikale Methodik in der Politik ein Einschnitt ohnegleichen. Nichts
ist mehr endgültig, eine Fülle von Unrichtigkeiten wird durchschaut, eine Unruhe des
Besserns und Erneuerns überkommt alles, jeden besonderen Zweck und das Ganze in
jeder Gestalt. Dabei aber geschieht auch alsbald der Absturz in die Endlosigkeit beson-
derer Zwecke und Nützlichkeiten. Denn methodische Zergliederung und methodi-
sches Entwerfen bedürfen der Führung, wenn sie nicht in das Rasen durchgehender
Pferde geraten sollen. Die Führung selber kann nicht noch einmal auch durch den Ver-
stand berechnet und gemacht werden. Die Methodik bedarf der Führung durch Ideen.
Diese machen den Gang systematisch, indem sie das Ganze Zusammenhalten. Die Idee
geht ihren Weg mit Entwürfen von Schematen[,] die in der Folge wieder durchbrochen
und verwandelt werden müssen aus der gleichen Idee, die sie nur als Schritte, nicht als
fixierbare Ideale kennt. Und zwar verwandeln sich diese Schemata mit den jeweils ge-
wonnenen Verwirklichungen. Das Ganze der Idee ist allein gegenwärtig in den inne-
ren Antrieben und dem unabsehbar von aussen Entgegenkommenden als das, was al-
les Besondere umgreift und hineinnimmt in die Bewegung ihrer unabschliessbaren
Verwirklichung.
Politisch ist nun der Versuch des Neubaus aus der Idee des Ganzen durchgreifend
zum ersten Male in der französischen Revolution geschehen. Aber die Ideen waren un-
zureichend. Diese unzureichenden Ideen zerfielen zudem schnell. Sie wurden überrannt
von elementaren Kräften, die infolge Vernichtung der Autorität fessellos geworden wa-
ren. Wenn daher auch fast alles, was die französische Revolution zunächst hervor-
brachte, Unheil war, wenn auch statt Verbesserung menschlicher Zustände eine Orgie
menschlicher Bosheit und dann ein neuer Despotismus sich austobte, das eine bleibt,
was Kant bei aller Enttäuschung festhielt: so etwas vergisst sich nicht mehr.227 Einmal
haben Menschen ihren Gesamtzustand auf Vernunft gründen wollen. Dass sie scheiter-
ten, ist kein Einwand. Die Idee ist wach geworden. Sie wird nicht mehr einschlafen.
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Zweiter Abschnitt: Der Sinn des Planens
Das Planen inbezug auf das Ganze der menschlichen Zustände ist, obgleich immer be-
schränkt, einer Erweiterung ins Unabsehbare fähig.
Es ist der grösste Einschnitt im historischen Bewusstsein, wenn den Menschen
dämmert, dass sie nicht nur einem endgiltigen Sosein der Zustände preisgegeben sind,
sondern dass es in ihrer Hand liegt, sie zu ändern. Die Weise dieses Änderns wird zum
Schicksal, das wir nicht nur erleiden[,] sondern ergreifen.
Aber das Erwachen des Planens inbezug auf das Ganze der menschlichen Zustände
ist, obgleich die Geburt einer höchsten Möglichkeit im Dasein, doch zugleich eine Ka-
tastrophe.
Wie die Entstehung der radikalen Wissenschaftlichkeit in den neueren Jahrhun-
derten, so ist die radikale Methodik in der Politik ein Einschnitt ohnegleichen. Nichts
ist mehr endgültig, eine Fülle von Unrichtigkeiten wird durchschaut, eine Unruhe des
Besserns und Erneuerns überkommt alles, jeden besonderen Zweck und das Ganze in
jeder Gestalt. Dabei aber geschieht auch alsbald der Absturz in die Endlosigkeit beson-
derer Zwecke und Nützlichkeiten. Denn methodische Zergliederung und methodi-
sches Entwerfen bedürfen der Führung, wenn sie nicht in das Rasen durchgehender
Pferde geraten sollen. Die Führung selber kann nicht noch einmal auch durch den Ver-
stand berechnet und gemacht werden. Die Methodik bedarf der Führung durch Ideen.
Diese machen den Gang systematisch, indem sie das Ganze Zusammenhalten. Die Idee
geht ihren Weg mit Entwürfen von Schematen[,] die in der Folge wieder durchbrochen
und verwandelt werden müssen aus der gleichen Idee, die sie nur als Schritte, nicht als
fixierbare Ideale kennt. Und zwar verwandeln sich diese Schemata mit den jeweils ge-
wonnenen Verwirklichungen. Das Ganze der Idee ist allein gegenwärtig in den inne-
ren Antrieben und dem unabsehbar von aussen Entgegenkommenden als das, was al-
les Besondere umgreift und hineinnimmt in die Bewegung ihrer unabschliessbaren
Verwirklichung.
Politisch ist nun der Versuch des Neubaus aus der Idee des Ganzen durchgreifend
zum ersten Male in der französischen Revolution geschehen. Aber die Ideen waren un-
zureichend. Diese unzureichenden Ideen zerfielen zudem schnell. Sie wurden überrannt
von elementaren Kräften, die infolge Vernichtung der Autorität fessellos geworden wa-
ren. Wenn daher auch fast alles, was die französische Revolution zunächst hervor-
brachte, Unheil war, wenn auch statt Verbesserung menschlicher Zustände eine Orgie
menschlicher Bosheit und dann ein neuer Despotismus sich austobte, das eine bleibt,
was Kant bei aller Enttäuschung festhielt: so etwas vergisst sich nicht mehr.227 Einmal
haben Menschen ihren Gesamtzustand auf Vernunft gründen wollen. Dass sie scheiter-
ten, ist kein Einwand. Die Idee ist wach geworden. Sie wird nicht mehr einschlafen.