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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0352
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Grundsätze des Philosophierens

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durch Concurrenz in Leistungen werden doch nur ganz bestimmte, partikulare Fähig-
keiten bevorzugt. Was das Staatliche angeht, so gilt für die weitesten Bereiche der Ge-
schichte das berühmte Wort des Kanzlers Oxenstjerna: man weiss nicht, mit wie we-
nig Verstand die Welt regiert wird.254
Die Idee der Gerechtigkeit fordert, dass jedem das Seine zukomme. Um aber die
Frage zu beantworten, was für einen jeden das Seine sei, ist zu wissen notwendig, in
welchem Sinne die Menschen gleich, in welchem aber ungleich sind. Die Gerechtig-
keit fordert, dass sowohl die Gleichheit wie die Ungleichheit zu ihrem Recht komme.
Dass dies nicht durch ein einfaches Recept und Dekret erreichbar ist, liegt auf der
Hand. Die Ungerechtigkeit liegt als furchtbare Last schon auf allem natürlichen und
dann auf dem von ihm selber hervorgebrachten Dasein des Menschen. Aber es ist ent-
scheidend, ob die Idee der Gerechtigkeit wirksam ist, ihre Massstäbe aufstellt und ihre
Fragen zu Gehör bringt, die in unendlicher Annäherung zur Einschränkung der Un-
gerechtigkeit führen.
Zweitens: Arbeit an der Communikation des Verschiedenen: Dass die fernsten
Menschen auf der Erdoberfläche sich treffen, macht ihre ausserordentliche Verschie-
denheit in Kultur, Überlieferung, Lebenszielen, Rassen ihnen erst ganz bewusst. Mit
den Einrichtungen der entwickelten Kultur wird innerhalb jeder Bevölkerung durch
die Gliederung der Menschen in Aufgaben und deren Berufe ihre Wesensverschieden-
heit verschärft. Mit beidem aber wird gerade die Forderung der Communication ge-
steigert. Gleichheit der Menschen in der Ungleichheit bedeutet allseitige Communi-
cationsmöglichkeit. Jeder Mensch soll seinem Wesen nach am Ganzen teilnehmen,
soll in der Möglichkeit ein ganzer Mensch sein, soll in seiner Besonderung durch Be-
zug auf das Ganze leben. Was er nicht selber verwirklicht, kann er doch verstehen und
dann in der Möglichkeit als sein Eigen ergreifen. In der Communication aus der Quelle
des jeweils Besonderen steigert sich auch Sinn und Gehalt dieses Besonderen. Der
Mensch als einzelner kann und soll alles verstehen und anschauen, während er selber
nur eine Weise des Daseins faktisch ist. In dem Maasse solcher Teilnahme wird er sel-
ber ein voller Mensch und fähig zu allseitiger Verständigung.
Verständigung ist notwendig zwischen einzelnen Menschen, zwischen diesen als
Trägern von Interessen, von ursprungsverschiedenen Lebenstendenzen, von Glau-
bensrichtungen. Das Nebeneinander muss über das Gegeneinander ein Miteinander
werden. Die Einrichtungen müssen möglichst so getroffen werden, dass sie in sich und
nach aussen die Communication fördern, nicht hemmen. Wo sie durch ihre Speciali-
sierung nur trennend wirken, heben sie in der Folge mit dem Leben inbezug auf das
Ganze auch den Gehalt des Besonderen auf.
Die Lage des einzelnen Menschen inbezug auf das Ganze ist derart, dass er entwe-
der in die Nichtigkeit seiner Vereinzelung verschwinden oder in der Teilnahme am
umfassendsten Ganzen sich verwirklichen kann. Jeder Mensch steht in bestimmten
 
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