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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0354
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Grundsätze des Philosophierens

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det. Die Formen und Bedingungen solcher Abstimmungen und Wahlen sind ausser-
ordentlich mannigfach und ständigen Wandlungen unterlegen, teils aus den Machtin-
teressen der begrenzten Gruppen, teils aus der Idee der Gerechtigkeit. Diese fordert:
Die Minorität hat Rechte, sie darf nicht rechtlos von der Majorität vergewaltigt wer-
den. Sie muss ihre Ansicht vertreten und ihr Chancen für die Zukunft geben können
durch Aussprache. Daher ist Freiheit der Rede, der Schrift und Presse, der Vereinsbil-
dung Bedingung der Freiheit aller.
Die Stimmen sind nicht gleich an Wert[,] sondern wertvoll nach der Persönlich-
keit derer, die sie abgeben. Sie sind im Grunde zu wägen, nicht zu zählen. Da dies un-
möglich ist und irgendwo das Zählen bleibt, werden Abstufungen des Stimmrechts
versucht, die immer mit einer vermehrten Gerechtigkeit neue Ungerechtigkeit brin-
gen. Denn die Abstufungen können objektiv nie nach dem wirklichen Wert der Per-
sönlichkeiten, sondern nur nach zugleich äusserlich greifbaren Merkmalen gesche-
hen (Alter, Amt, Herkunft, Beruf, Vermögen, äusserlich fixierbarer Bildungsgrad).
In der Persönlichkeit der Herrschenden und in den Abstimmungen liegen die irra-
tionalen Grenzen, in denen die Schicksalsentscheidungen für den Gang der Dinge
gründen. Alle Einrichtungen können nur die Chancen zu verbessern suchen. Was am
Ende von diesen Grenzen her kommt, ist trotz aller Versuche der Beeinflussung zum
jeweils Erwünschten hin doch unberechenbar.
Für die Abstimmungen geschieht die Lenkung zu möglichster Wahrheit und zu
möglichster Vermeidung von Missbrauch und Betrug z.B. durch die Grenze der Häu-
figkeit von Wahlen (sie sollen weder beliebig schnell wiederholbar noch zu selten sein),
durch Freigabe öffentlicher Propaganda seitens aller, durch geheime, gleiche und freie
Abstimmung, durch Androhung von Strafen für nachweisliche Lüge, für Gewalt, Er-
pressung.
Damit das Verhängnis der Daseinsordnung von den Grenzen her nicht total werde,
ist in allen Einrichtungen, die nicht für die Selbstbehauptung im Kampf nach aussen
alle Kräfte restlos erfordern (was nur solange der Fall ist, als es kein Weltreich3 gibt, das
alle Menschen auf einen gemeinsamen Daseinsboden einigt), der Grundsatz wahr:
dass nicht nur der Einzelne seine Freiheit habe in dem Raum, der durch die allgemeine
Ordnung übrig gelassen wird, sondern dass diese Räume, die staatsfreien Bezirke, mög-
lichst grosse und zahlreiche bleiben oder immer wieder werden.
5. Verselbständigung der Einrichtungen: Der Zustand der öffentlichen Dinge ist die
jeweilige Gesamtheit dieser Einrichtungen in ihrer Funktion. Nennen wir die Einrich-
tungen die Maschinerie unseres gemeinschaftlichen Lebens und dies Leben im Gan-
zen den Staat, so können wir sagen, der Staat müsse seine Staatsmaschinerie hervor-
bringen, um leben zu können.

kein Weltreich im Ms. hs. Vdg. für keine Weltunion
 
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