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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0380
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Grundsätze des Philosophierens

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aufzuhellenden Unbewusstheit, die ein Mangel ist. Nur diese vermögen Demagogen
und Glaubenspropagandisten zu benutzen als ein Mittel bei ihren Veranstaltungen zur
geschickten Lenkung der Menge. Dies Unbewusste sind z.B. die durchschnittlichen
fraglosen Antriebe, die Interessen, der Drang zur Unterwerfung, zur Teilnahme an der
Gewalt, zu Raub und Beute. Aber all diese Unbewusstheit ist nicht die Unbewusstheit
des Umgreifenden, das kein Führender - sei er Philosoph oder Staatsmann - überse-
hen und nie wie ein ihm Verfügbares behandeln kann.
Über dem Verhalten aber, dem die Unbewusstheit der Anderen ein Mittel wird,
steht die echte Führung. Diese sucht in der grenzenlosen Aufhellung des Bewusstseins
aller ihren Weg in breiter universaler Erziehung, in Bildung und Wissen, in Informa-
tion und Freigabe öffentlichen Mitredens, gemeinsam mit allen umgriffen von dem
Unbewussten der Autorität und ihrer Lenkung unterworfen.
d. Erscheinung der Autorität als Geschichtlichkeit
Der Gang der menschlichen Dinge ruht stets auf einem Grunde aus der Vergangenheit.
Dieser Grund liegt zurück in unvordenklicher Tiefe der Geschichte. »Einen anderen
Grund kann niemand legen, als der von Anfang gelegt ist.«264 Ein radikales Vonvornan-
fangen wäre Gründung auf das Nichts. Aus einem allgemeinen Material - etwa einem
vermeintlich jederzeit gleichen Menschsein - nach allgemeinen Leitgedanken - etwa
des Mechanismus berechenbarer Funktionen und Kräfte in einer bürokratischen Ord-
nung - einen Bau des menschlichen Daseins zu errichten, wäre ein leeres, weil geschicht-
lich grundloses Unterfangen. Man kann nicht geschichtslos planen, um den Zustand
nach eigenem Willen so hervorzubringen, wie er für immer richtig scheinen mag.
Nach drei Richtungen ist der an sich eine und ganze geschichtliche Grund zu cha-
rakterisieren, als Gegebenheit je gegenwärtiger Zustände, als Tradition, als institutio-
nell gewordener Anspruch von Glaubensgehalten:
Der geschichtliche Grund erscheint erstens in jeder Gegenwart als die Realität der
ungewusst bis dahin gewordenen Zustände, welche in unmittelbarer Erfahrung gege-
ben sind. Während wir im freien Planen Kritik vollziehen, verändern und bessern
möchten, stehen wir mit Scheu vor dem Gegebenen, nur um belehrt zu werden, und
hinnehmend, um dem zu folgen, was schon faktisch geschehen ist und was unsere Ah-
nen geschaffen haben. Das Gegebene in seiner Ganzheit hat einen Schimmer des Au-
toritativen.
Der geschichtliche Grund erscheint in dieser Realität der Zustände zweitens als die
Überlieferung des Sprechens, Meinens, Vorstellens, der Sitten und Gewohnheiten. Das
Traditionelle hat den Glanz des Wahren als eines autoritativen. Es wird nicht durch-
schaut, aber ehrfürchtig in den Gewohnheiten festgehalten. Es ist im unreflektierten
consensus einer Kulturgemeinschaft faktisch da. Was das allgemein Erkennbare an-
geht, kann zwar dieses Traditionelle keine Wahrheit begründen. Ein Irrtum bleibt Irr-
 
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