Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0445
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
442

Grundsätze des Philosophierens

unvordenklicher Vergangenheit stammenden, unabänderlichen, festen Formen, zwar
faktisch in Generationen erwachsen und verwandelt, aber als beständig erlebt und
vollzogen. Sie sind längst zum Teil unverständlich geworden, werden entweder als Ge-
heimnis vollzogen oder verwandelt in neu verstehenden Sinn gebracht. Das Gebet da-
gegen ist individuell, existentiell gegenwärtig. Als Dependenz des Kultus vollzieht es
der Einzelne als feste Form und bleibt darin ganz bei der Religion. Als wirklich persön-
lich und ursprünglich steht das Gebet an der Grenze des Philosophierens und wird
Philosophie im Augenblick, wo jede zweckhafte Beziehung zur Gottheit und der reale
Einwirkungswille auf die Gottheit entfallen ist. Es ist ein Sprung zwischen der Leibhaf-
tigkeit der persönlichen Beziehung zum persönlichen Gott - einem Ursprung der Re-
ligion - und der Schwebe der philosophischen Contemplation, in der zunächst nur Er-
gebung und Dank bleibt, dann aber Vergewisserung dem Menschen seinen Boden gibt.
Diese Contemplation bewirkt nichts mehr in der Welt, sondern nur im Menschen sel-
ber. Durch seine Ermunterung aber zu neuer Verwirklichung wird das Geschehen in
der Welt, soweit es von seinem Handeln abhängt, entscheidend bestimmt. Das speku-
lative Philosophieren ist, wo es echte Contemplation wurde, wie ein einziges Gebet.
Wenn dieses ursprünglich mit in dem Ganzen lag, was als Religion realisiert ist, so ist
es nun doch vom religiösen Tun radikal verschieden geworden.
dd. Offenbarung: Religionen gründen sich auf Offenbarung, klar und bewusst die
indischen und die biblischen Religionen. Offenbarung ist die unmittelbare, zeitlich
lokalisierte, für alle Menschen gütige Kundgabe Gottes durch Wort, Forderung, Hand-
lung, Ereignis. Gott gibt seine Gebote, er stiftet Gemeinschaft, er gründet den Kultus.
So ist der Kultus dera Christen gegründet auf Offenbarung als Tat Gottes durchb Einset-
zung des Abendmahls. Da Offenbarung Ursprung eines religiösen Inhalts ist, so gilt
dieser nicht an sich, sondern in einer Gemeinschaft - des Volkes, der Gemeinde, der
Kirche -, die die gegenwärtige Autorität und Garantie ist und geschichtlich in der Zeit
ihre besonderen Charaktere hat. Die Riten sind geordnet nach Regeln, die als im Ur-
sprung gegründet, darum als heilig und unveränderbar gelten.
Von der Philosophie her wird die Offenbarung der Frage unterworfen.
Erstens: Ist in Offenbarungen etwas specifisch Göttliches, das sonst in der Welt
nicht vorkommt? Dies Specifische ist jedenfalls nur für den Glaubenden da, und auch
er kann nicht sagen, was es ist. Befragt, endet er mit dem Ausdruck der Ergriffenheit,
des Schauers, des Geheimnisses. Sowiec er etwas Verständliches von der Offenbarung
sagt, ist doch immer nur dasselbe sichtbar, was in der Offenbarung auch für den nicht
Glaubenden da ist: Sprache als Sprache der Menschen, Ereignisse, die als empirische

a nach der im Ms. gestr. Juden und
b Tat Gottes durch im Ms. hs. Vdg. für Tat Gottes, vom Bunde am Sinai bis zur
c Sowie nach der Abschrift Schott statt So wie im Ms. und in den Abschriften Gertrud Jaspers und A. F.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften