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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0446
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Grundsätze des Philosophierens

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Realitäten entweder unglaubwürdig (Illusionen, Täuschungen) sind, oder auch sonst
vorkommen, oder überhaupt nicht Realitäten in der Welt, sondern mythisch sind.
Zweitens: Ist in Offenbarungen etwas mitgeteilt, was ohne Offenbarung nie in des
Menschen Denken und Herz gekommen wäre? Das wird von den Glaubenden behaup-
tet, und zwar entweder inbezug auf Grundwahrheiten oder inbezug auf ein einmali-
ges Heilsgeschehen, von dem das Heil eines Jeden abhängt.
Nur durch Offenbarung seien Grundwahrheiten (vom Schöpfergott, von der End-
lichkeit des Menschen, von dem Sichgeschenktwerden in der Freiheit) zum Menschen
gekommen. Es ist die geistesgeschichtliche These: Ohne Bibel wäre die ganze neuere
Philosophie nicht, diese Philosophie ist ein Säcularisierungsprocess. Alle Denkenden
sind seit anderthalb Jahrtausend im Abendland Christen, ob sie es wissen und zuge-
ben oder nicht. Was sie ohne Glauben philosophisch denken, verdanken sie dem Ge-
halte nach der christlichen Glaubensgrundlage.
Dazu ist zu sagen: Mag in vielen Zusammenhängen dieser Säcularisierungsprocess
geistesgeschichtliche Realität sein, warum soll dann die nunmehr ursprüngliche phi-
losophische Vergewisserung nicht unabhängig sein von dem Process, in dem sie hi-
storisch-empirisch erwachsen ist? Es kann aus sich einsichtig sein, was einmal als Of-
fenbarung sich gaba. Es ist ein universales Phaenomen, dass Ursprüngliches, aus sich
Wahres im Zusammenhang mit einem vermeintlich verstandenen Überlieferten ent-
steht, so z.B. Keplers Astronomie aus einer Metaphysik, die mit dem bleibend Richti-
gen der gewonnenen astronomischen Einsicht nichts mehr zu tun hat;323 so auch aus
dem Jahwe-Wort »ich bin, der ich bin«324 - zunächst einer ausweichenden Antwort,
um sich einer Namensmagie zu entziehen - die tiefe Spekulation, die in den Sinn des
Einen Gottes dringen möchte. Ferner ist es fraglich, ob nicht auch faktisch die Grund-
einsichten ohne die biblische Grundlage hätten entstehen können. Viel, vielleicht al-
les, findet sich schon bei Plato. Wenn wir uns die den Griechen fremde Seelentiefe, die
der späteren abendländischen Philosophie in ihren grossen Erscheinungen eigen ist,
auch schwer ohne Paulus und Augustin entstanden denken können, so wissen wir
doch nicht, was ohne sie hätte werden können.
Weiter sagt der Glaubende: Nur in der Offenbarung sei das Heil durch Heilsgesche-
hen vermittelt. Während die Grundwahrheiten philosophisch ursprünglich sind und
jedenfalls, nachdem sie ergriffen sind, von Offenbarung unabhängig werden, ist das
Heilsgeschehen als Quelle des Heils nur für den Glaubenden, daher für diesen auch
nur durch Offenbarung da, für die Anderen schlechthin nicht da; daher wäre, wenn
dieses Heilsgeschehen wirklich und ein solches für alle ist, Offenbarung unerlässlich.
Es ist aber zu unterscheiden zwischen dem Gedanken des einen Heilsgeschehens
für alle (z.B. Christi Opfertod) und dem Gedanken an ein von der Transcendenz sich

nach gab im Ms. gestr. (Lessing, Kant, Fichte)
 
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