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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0519
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Grundsätze des Philosophierens

schäft persönlichen Suchens der Persönlichkeit Gottes, die der biblischen Religion ei-
nen Charakter gibt, demgegenüber z.B. die Religionen Indiens, soweit sie den Verkehr
mit einer persönlichen Gottheit pflegen, blass erscheinen. Biblische Religion ist Ge-
betsreligion. Das Gebet in reiner Form wird frei von weltlichen Wünschen, wird Preis
und Dank und endet in dem Vertrauen: Dein Wille geschehe.452
4) Gottes Gebote: Die biblische Religion hat mit einer in der frühen Zeit einzigar-
tigen Schlichtheit durch die zehn Gebote Grundwahrheiten menschlicher Sittlichkeit
als Gebote Gottes ausgesprochen, den Unterschied von Gut und Böse in seiner Abso-
lutheit3 erfasst; dazu hat sie seit der Zeit der Propheten die Nächstenliebe gefordert,
gipfelnd in dem Anspruch: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.453 Hier liegt eine der
Wurzeln aller Humanität.
5) Bewusstsein der Geschichtlichkeit: Es tritt auf im Zeitalter politischer Katastro-
phen als universalgeschichtliches Bewusstsein der von Gott gelenkten Geschichte. Es
wird der Grund der religiösen Centrierung des Lebens, das im Hier und Jetzt das Welt-
ganze mit einbezieht. Es vertieft, sublimiert und verengt sich schliesslich in die exi-
stentielle Geschichtlichkeit des Einzelnen.
6) Das Leiden: Das Leiden erhält Würde. Leiden wird Weg zur Gottheit. In der Ge-
schichte des Gottesknechts (Deuterojesaias) und im Symbol des Kreuzes (Christus)
wird es der Gegenpol zum Tragischen der Griechen. Die biblische Religion lebt ohne
tragisches Bewusstsein oder in überwundener Tragik.
7) Offenheit für die Unlösbarkeiten: Die Gewissheit des Glaubens setzt sich der äus-
sersten Bewährung aus. Es wird gewagt, bei gegebenen religiösen Positionen - und jede
Aussage wird unausweichlich zu einer Position - das darin erwachsende Unlösbare auf-
zuzeigen. Die Leidenschaft des Kampfes um Gott gegen Gott ist einzig im Hiob. Die
Verzweiflung des Nichts - als für den Redlichen unumgänglicher Übergang - ist un-
übertroffen im Prediger ausgesprochen. -
Jeder dieser Grundcharaktere ist mit specifischen Entgleisungen verbunden.
1) Der eine Gott wird abstrakt und ist dann nur noch negativ gegen alles Weltsein
und gegen dessen Vielfachheit und Fülle. Das Eine tötet das Viele.
2) Der transcendente Gott löst sich von der Welt. Gott ohne Schöpfung ist ein Ge-
danke, in dem alles verschwindet. Indem die Welt nicht nur nichtig, sondern nichts
wird, wirdb auch die Transcendenzc zu einem Nichts, ohne dassd noch etwas ist.

a in seiner Absolutheit im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu in der Absolutheit des Entweder-oder
b nach wird im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. für uns
c nach Transcendenz im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. gleichsam
d dass nach dem Vorlesungs-Ms. 1945/46 statt das in den Abschriften Gertrud Jaspers und A. F.
 
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