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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0543
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Grundsätze des Philosophierens

ehe möglich. Plotin, Scotus Eriugenaa sind isolierte Gestalten, stehen im Wesentlichen
nicht in der Continuität sich folgender Denker, sind einmalige Gipfel, ohne echte Nach-
folge, und haben doch auf die Dauer die grösste Wirkung. Sie stehen mit dem Material
ihrer Gedanken im Zusammenhang der Überlieferung, sind vielleicht in allen einzelnen
Gedanken abhängig und bringen doch im Ganzen eine neue, grosse Grundstimmung
des Denkens.
In der Philosophie ist es darum nie zu sagen erlaubt, es sei zu Ende. Am Ende, in der
Katastrophe, in jeder Katastrophe bleibt die Philosophie. Immer als tatsächlich voll-
zogenes Denken Einzelner, unberechenbar auch in einsamen Werken aus geistig sonst
fruchtlosen Zeiten. Philosophie ist wie Religion in jeder Zeit.
Entwicklung ist für Philosophiegeschichte auch darum nur ein partikularer Ge-
sichtspunkt, weil jede grosse Philosophie in sich vollendet, ganz, eigenständig ohne
Bezug auf geschichtlich umfassendere Wahrheit lebt. Wissenschaft geht auf einem
Wege, auf dem jeder Schritt durch einen späteren übertroffen wird. Philosophie muss
ihrem Sinne nach je in einem einzelnen Menschen ganz werden. Darum ist es sinn-
widrig, Philosophieren zu subalternisieren als Schritte auf einem Wege, als Vorstufen.
Es ist das Verfahren Hegels, der sein Denken als die Vollendung allen Denkens verstand
und alle früheren als Glieder, Teilwahrheiten, Stationen auf dem Wege zu seinem ei-
genen Denken vermeintlich unterwarf. Der philosophische Denker steht zu anderen
Ganzheiten in Communication. Weder unterwirft er sie, noch gehört er mit ihnen ei-
nem wissbaren Ganzen, einer lehrbaren umfassenden Philosophie an.
g. Rangordnung. - Trotzdem wird sich das Philosophieren im einzelnen Denker und
in typischen Zeitanschauungen einer Rangordnung bewusst. Die Philosophiege-
schichte ist kein nivelliertes Feld zahlloser gleichberechtigter Werke und Denker. Es gibt
Sinnzusammenhänge, die nicht von allen erreicht werden, Gliederungen, Abhängig-
keiten. Vor allem gibt es Höhepunkte, Sonnen im Heer der Sterne. Aber es gibt dies al-
les nicht in einer Weise, dass es als einzige für alle geltende letzte Wahrheit und Höhe
in der geschichtlichen Zeit bestände.
Es ist ein gewaltiger Abstand zwischen dem, was in einem Zeitalter alle meinen [,]
und dem Gehalt der in dieser Zeit geschaffenen philosophischen Werke. Was der Ver-
stand aller selbstverständlich findet, kann ebenso als Philosophie ausgesprochen wer-
den wie das unendlich Deutbare der Rätselwerke der grossen Philosophen. Die Ruhe
beschränkter Einsicht einer Zufriedenheit mit der von ihr gesehenen Welt, dann der
Drang ins Weite, an die Grenzen, dann das Stehen an der Grenze, - alles heisst Philo-
sophie. Es gibt Stufen und Dimensionen des Denkbaren.

Eriugena im Ms. Vdg. für Erigena
 
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