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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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Karl Jaspers - Piper Verlag (1966)

Ohne Zweifel bedeutet auch China eine sehr komplexe politische Realität. Infolge-
dessen würde allerdings eine gewisse Widersprüchlichkeit der Aspekte auch in Ihren
Darlegungen dieser zusammengesetzten Realität entsprechen.
Otto von Habsburg hat im vorigen Jahr im Rotary-Club einen interessanten Vor-
trag über China gehalten.1633 Ich kam skeptisch zum Vortrag, da ich dachte, recht reak-
tionäre Gedanken zu hören. Der Redner erwies sich aber als sehr informiert und als
Mann, der durchaus nicht konventionelle Dinge vorbrachte:
Man kann Chinas Kommunismus nur verstehen, wenn man das revolutionäre
und das nationale Moment zusammennimmt. Das Grundgefühl aller Chinesen
heute - auch der, die nicht an Marxismus und Revolution selbst glauben, aber die
mitarbeiten - ist, daß das große chinesische Volk die Demütigungen, die es in seiner
Geschichte der letzten dreihundert Jahre wegen seiner permanenten Schwäche erdul-
den mußte, wieder gutzumachen hat.
Otto von Habsburg berichtete, daß es, ich glaube 13 »demütigende« Verträge
seien, die symbolisch wären, darunter auch Verträge mit den Russen in der Zarenzeit
(in der Zarenzeit, aber eben mit Russen). Eine fanatische Führung könne zwar auch
mit einem geduldigen, fleißigen und nüchtern-intelligenten Volk wie den Chine-
sen Ungeheures anstellen, aber das Volk sei seinem Wesen nach nicht aggressiv. Die
Geschichte der letzten Jahrhunderte habe gezeigt, daß es nicht über seine Grenzen
hinausstrebe, nicht expansiv sei. Dies O. von Habsburg. Einwenden kann man natür-
lich, daß auch die Deutschen, die unter Hitler so schrecklich aggressiv wurden, dies
früher nicht waren, daß es keine Volksmentalität gäbe, mit der man als gleichbleiben-
dem, sicherem Faktor rechnen kann.
Ich bin, was China anbelangt, sicher, daß die Fehleinschätzung der ganzen Situa-
tion und Entwicklung damals durch die Amerikaner ein außerordentlich großes Ver-
hängnis war. Die gesamte Weltsituation könnte heute anders, besser sein, wenn Ame-
rika nicht auf das zum Untergang verurteilte Regime von Tschiang Kai-schek, auf die
feudal-korrupte Schicht hinter ihm gesetzt hätte.1634 Wenn es die U.S.A. gewesen wä-
ren, die China durch materielle und intellektuelle Hilfe den Weg zur modernen Indu-
strienation gewiesen und erleichtert hätten - die Folgen für die Welt wären unausdenk-
bar. (Diese Meinung wird eben durch H. Proebst in der Südd. Zeitg. bestätigt - anbei).1635
So, wie die Dinge jetzt liegen, wird wohl früher oder später Japan diese Rolle über-
nehmen. Die japanische Wirtschaftsentwicklung ist ungeheuer und übersteigt, wie
man hört, vielfach das »deutsche Wirtschaftswunder«. Japan wird sich, wie ich glaube
und hoffe, nicht von Amerika trennen. Für China ist es aber einfach der natürliche
Partner, der China die Leistung bieten kann, die es braucht. Ich habe kürzlich mit
einem japanischen Professor darüber gesprochen, der sich nicht festlegte, aber mir
bestätigte, daß unter dem Deckmantel der äußeren politischen Distanz viele Fäden
zwischen Japan und China hin- und hergingen.
 
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