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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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Karl Jaspers - Piper Verlag (1966)

Das hinreissendste Kapitel ist vielleicht das über die Kuba-Krise.1697 Man sieht, wie
das beraten wird, wie die Tatsachen festgestellt werden, wie Kennedy die Meinungen
all der klugena Männer anhört, die sich die Möglichkeiten durchdenken und ins End-
lose sich zersplittern in den Antworten auf die Fragen, was geschehen könnte. Man
gerät als Leser mit ihnen in die Ratlosigkeit, bis dann Kennedy selbst, nach den vie-
len Versuchen, das Mögliche zu erdenken, auf die ebenso einfache wie mutige Lösung
kommt. Er baut Chruschtschow alle Brücken zum Rückzug der russischen Raketen
aus Kuba, macht es so milde wie möglich. Aber zugleich lässt er Chruschtschow mer-
ken, dass er nicht nachgeben wird. Er wendet sich öffentlich an die Amerikaner, um
ihnen den ganzen Ernst der Lage klar zu machen, die Möglichkeit des Atomkriegs,
und erklärt: hier nachzugeben, das bedeutet das Ende der Freiheit. Hier ist die Grenze
erreicht, an der wir wählen müssen. Die Amerikaner stimmten zu. Es war klar, dass
Chruschtschow mit konventionellen Waffen keinen Krieg in Kuba gegen Amerika
führen konnte. Er musste sich entweder zurückziehen oder den Atomkrieg beginnen.
Und Kennedy wagte es: wählt er den Atomkrieg, so ist das unser Schicksal. Aber es ist
die grosse Chance, dass Chruschtschow vernünftig bleibt. Die Amerikaner gingen
mit. Es war kein einsamer Akt eines über die Menschen hingehenden, sie, die Betrof-
fenen, im Unklaren lassenden Entschlusses. Was dann geschah, war eine Wende der
gegenwärtigen Geschichte. Es wurde offenbar, dass beide, Amerika und Russland,
den Atomkrieg nicht wollen. Indem Kennedy den Augenblick begriff und der Erpres-
sung nicht nachgab, verwandelte seither sich die politische Atmosphäre. Seine Ver-
antwortung in jenem Augenblick war fast unerträglich. Im engen Kreis sprach er vom
Tode, nicht von seinem Tode und dem seiner Generation, sondern von dem der Mil-
lionen Kinder, die ihr Leben nicht verwirklichen würden. Er wagte am entscheiden-
den Punkte alles für die Freiheit.
Die Ermordung Kennedys ist das furchtbarste Ereignis unserer Zeit. Es ist, als ob der
Teufel seine Hand im Spiel hätte und [Kennedy] durch Mächte, deren Art und Dasein
nie aufgeklärt worden ist, vernichtet wurde als der Todfeind, den man nicht mehr
bezwingen konnte, da er die Herzen, die Vernunft, die grossen edlen Motive der Mehr-
zahl der Menschen für sich hatte. In solchen Situationen scheint zu gelten: die Wahr-
heit, wenn sie in der Welt erscheint, offen und tätig und wirksam, wird totgeschlagen.
Anders ist sie nicht mehr zu bekämpfen.
Kennedys Biographie sollte (nächst der Lektüre seiner Schriften, die fast sämtlich
auch in deutscher Sprache erschienen sind) das Bild dieses Mannes schon in den Schu-
len lebendig werden lassen. Es würde den Sinn für Politik und für die grosse schick-
salsentscheidende Politik heute erwecken und die Antriebe erzeugen, auf ihren Weg
zu gelangen. Daher wünsche ich der Ihnen zu verdankenden Übersetzung des Soren-

a klugen hs. Vdg. für grossen
 
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