347 Kurt Rossmann an Klaus Piper
Typoskript; Kopie des Originals: DLA, A: Piper, mit dem BriefkopfProf. Dr. Kurt Rossmann Heidelberg
Plöck 66
26. II.1961
Sehr verehrter Herr Piper!
Ihr schöner Plan, eine Gesamtausgabe der Werke von Karl Jaspers zu veranstalten,
findet meinen vollen Beifall, weil er einem unabweisbaren Bedürfnis entspricht.1946
Denn sieht man auf Jaspers' Lebenswerk im ganzen, dann kann man nicht umhin,
ihm den Charakter eines für unsere Zeit und für unser Volk schlechthin einmaligen
Ranges zuzuerkennen. Dieser Charakter lässt sich vielleicht am ehesten mit jener For-
derung bestimmen, der Jaspers selber die Universität als lebendige geistige Mitte von
Staat und Gesellschaft unterstellt wissen will: die Stätte des »hellsten Bewusstseins des
Zeitalters« zu sein.1947 Denn auf allen Stufen seines Lebens: zuerst als Forscher, dann
als Philosoph und zuletzt als politischer Denker hat Jaspers nicht nur auf immer neue
Weise dieser Forderung genüge getan, sondern selber dieses hellste Bewusstsein des
Zeitalters repräsentiert.
Schon deshalb verlangt seine wissenschaftliche und denkerische Lebensleistung
nach einer ihr adaequaten Darbietung in der Form einer Gesamtausgabe seiner Werke.
Sie tut das unangesehen auch der schon bisherigen weiten Verbreitung des Werkes
in Einzelausgaben (allein die Zahl der Übersetzungen in fremde Sprachen beträgt
über neunzig).1948 Denn erst eine Gesamtausgabe wird die wahre Bedeutung dieses
Lebenswerkes in seiner kontinuierlichen Ausfaltung und inneren Konsequenz voll-
auf erschliessen können. Es wird sich dann auch erweisen, wie eng die zentralen The-
men seiner denkerischen Bemühung: Wissenschaft, Philosophie und Politik mitein-
ander verflochten sind, und dass in der Erhellung der Problematik dieser drei geistigen
Brennpunkte des Zeitalters auch Jaspers' eigentliche philosophische Leistung besteht.
Ich sehe diese Leistung in der allseitigen Vorbereitung und Bezeugung einer neuen
verbindlichen und verpflichtenden Denkweise. Es ist die Denkweise eines im Medium
der Wissenschaft wie im Medium der Politik sich tätig der Freiheit des Menschseins
vergewissernden Philosophierens. Jaspers' Philosophie ist eine Philosophie der Frei-
heit, die nur in menschlicher Kommunikation sich verwirklicht und deshalb auch
ihrer Konsequenz nach politisch ist. Zumal hierin sehe ich - sowohl entgegen dem
ideologischen Wissenschaftsaberglauben wie entgegen der Wissenschaftsverach-
tung, in welche sich ausschliessende Positionen die Philosophie heute vielfach sich
verloren hat - ihre eigentlich praktische, in die Zukunft weisende Überzeugungskraft.
Gerade zum Verständnis der so komplexen Denkweise dieses Philosophierens, das
weniger Wissensinhalte als ganz neue Wege des Denkens zeigt, scheint es mir einer
Gesamtausgabe des Werkes zu bedürfen. Die gesamte wissenschaftliche Welt wird an