Metadaten

Internationale Tagung "Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur" <2016, Tübingen>; Borsch, Jonas [Hrsg.]; Gengler, Olivier [Hrsg.]; Meier, Mischa [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Malalas-Studien: Schriften zur Chronik des Johannes Malalas (Band 3): Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur — Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2019

DOI Kapitel:
III. Ausformungen kirchlicher memoria
DOI Kapitel:
Menze, Volker: Johannes Malalas, die Rezeption des Konzils von Chalkedon und die christlichen milieux de mémorie im 6. Jahrhundert
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61687#0145
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
144

Volker Menze

vom Konzil von Chalkedon berichtet, als Häretiker: das Konzil habe „den Dioskoros
von Alexandria für seine Ungläubigkeit verdammt, damit die Kirche [...] nicht in
unwürdiger Gefangenschaft unter der Herrschaft eines Häretikers leide.“64
In weiteren Briefen aus dem Jahre 453 stellt der Papst dann Dioskoros in eine
Reihe mit Eutyches und spricht von Eutychis ac Dioscori impium dogma.^ Da Dios-
koros in der Tat Eutyches am zweiten Konzil von Ephesos zurück in den Schoß der
Kirche geholt hatte, ist Leos Gleichstellung des Dioskoros mit Eutyches nicht ganz
abwegig. Die Häresie des einen (Eutyches), machte auch den anderen (Dioskoros) zu
einem Häretiker.66
Damit legte der Papst - ohne wohl jemals die Konzilsakten gelesen zu haben -
den Grundstein für ein westliches Verständnis von Chalkedon als dem Konzil, das
Eutyches und Dioskoros verdammt habe. Päpste in der zweiten Hälfte des 5. Jhs. taten
es ihm gleich, wie auch Hormisdas in seinem päpstlichen libellus aus dem Jahre 515.67
Da diesen libellus jeder Bischof und vielleicht auch andere Kleriker im Oströmischen
Reich unterzeichnen sollten, stellt sich die Frage, wie Dioskoros bei den Chalkedoni-
ern im Osten rezipiert wurde.
Nach Dioskoros’ Tod 454 im Exil versuchte Kaiser Markian die Wahl eines nicht-
chalkedonischen Nachfolgers zu verhindern, indem er auf Dioskoros’Häresie verwies,
die angeblich bei Apollinaris von Laodikeia im 4. Jh. begann.68 Allerdings blieb der
Kaiser mit der Etablierung einer solchen Häresiologie in Ägypten erfolglos; bis 537
waren die meisten Patriarchen Nichtchalkedonier, die eine Verdammung Dioskoros’
ablehnten. Inoffiziell gaben die Nicht-Verurteilung auch die chalkedonischen Bischöfe
532 zu, aber nichtsdestotrotz war die Entrüstung unter chalkedonischen Klerikern
groß, als Anthimos 535 als neuer Patriarch von Konstantinopel in seinem Synodalbrief
wohl nur Eutyches, aber nicht Dioskoros verdammte. Das Konzil von Konstantinopel
ein Jahr später verdammte dann Anthimos als Häretiker, und setzte ihn (wie weitere
prominente Nichtchalkedonier) in Beziehung zu Eutyches und Dioskoros.69
In den folgenden Jahren, in denen der Dreikapitelstreit sich intensivierte, begann
der Kaiser die angebliche Häresie des Dioskoros ideologisch zu untermauern. In ei-
nem Brief an die Mönche in Ägypten 542/3 entwickelte Justinian eine Häresiologie
von Apollinaris und Mani über Dioskoros bis zu Timotheos Ailouros, der er die ale-
xandrinisch-orthodoxe Tradition mit Athanasius und Kyrill gegenüberstellte. Damit

64 Leo ep. 102 (ACO II4, S. 54).

65 Leo ep. 109 und ep. 114 (ACO II 4, S. 137-138 und ACO II 4, S. 70-71).

66 Allerdings distanzierten sich sowohl Dioskoros (in Chalkedon) als auch die späteren Nichtchalkedo-
nier von Eutyches.

67 Für Simplicius und Felix III. siehe Grillmeier (1991), S. 281. Für Hormisdas Fortescue (1955) und Menze
(2008), S. 68-70.

68 Marcianus ep. an die Mönche von Alexandria; ACO II1, S. 488-489 (Price/Gaddis (2005) Bd. 3, S. 155).
Die Paarung Eutyches und Dioskoros erfolgte indirekt erstmalig auf dem Konzil von Chalkedon: nach
der Absetzung des Dioskoros sollten die ägyptischen Bischöfe gezwungen werden, der Glaubensformel
zuzustimmen. Sie verdammten Eutyches, aber die anwesenden Bischöfe anathematisierten auch Di-
oskoros.

69 Siehe Menze (2008), S. 201-204, aber auch Grillmeier (1989), S. 370-371.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften