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Internationale Tagung "Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur" <2016, Tübingen>; Borsch, Jonas [Hrsg.]; Gengler, Olivier [Hrsg.]; Meier, Mischa [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Malalas-Studien: Schriften zur Chronik des Johannes Malalas (Band 3): Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur — Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2019

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III. Ausformungen kirchlicher memoria
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Menze, Volker: Johannes Malalas, die Rezeption des Konzils von Chalkedon und die christlichen milieux de mémorie im 6. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.61687#0146
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Johannes Malalas und die Rezeption des Konzils von Chalkedon

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reklamierte er die Alexandrinische Theologie unter Ausgrenzung des Dioskoros und
seiner Nachfolger für Chalkedon und die Reichskirche.70
In diesem historischen Kontext wurde das Konzil von Chalkedon wohl in Kons-
tantinopel erstmalig ins Lateinische übersetzt. Konsequenterweise wurde Dioskoros’
καθαίρεσίς hier auch mit damnatio übersetzt, was kaum etwas anderes als Verdam-
mung meinen kann. Die Übersetzer folgten damit der seit Papst Leo unter Chalkedo-
niern allgemein verbreiteten Ansicht, dass Chalkedon Dioskoros als Häretiker aus der
Kirche ausgestoßen habe. 100 Jahre mündliche Rezeption von Dioskoros als Häretiker
fanden nun auch ihre offizielle Grundlage in den lateinischen Akten des Konzils.
Die Absetzung bzw. Verdammung des Dioskoros ist natürlich nur ein Teilaspekt
des Konzils von Chalkedon, aber wichtig für die Frage, wofür - oder wogegen - das
Konzil von Chalkedon auch noch im 6. Jh. eigentlich stand. Ähnliche Diskussionen
und Entwicklungen könnten für andere Protagonisten des Konzils wie auch für Texte,
die vom Konzil behandelt bzw. nicht behandelt wurden, aufgemacht werden. Die be-
kanntesten Beispiele sind selbstverständlich zwei der Dreikapitel, Theodoret von Kyr-
rhos und Ibas von Edessa. Diese Theologen - wie auch Theodoros von Mopsuestia,
der dritte im Bunde der Dreikapitel, der aber schon lange vor dem Konzil im Jahre
428 starb - galten den Nichtchalkedoniern als Nestorianer, und im 6. Jh. kamen auch
zunehmend in chalkedonischen Kreisen Zweifel auf.
Hier kann nicht auf diese theologische Entwicklung, auch Neuchalkedonismus
genannt, die Chalkedon gegen den Vorwurf des „Nestorianismus“ verteidigen wollte,
eingegangen werden.71 Aber die Überlegung, die dyophysitisch(-„nestorianischen“)
Interpretationsmöglichkeiten der Orthodoxie zu limitieren, erfreute sich tatkräftiger
kaiserlicher Unterstützung, die dann auch den Weg zum zweiten Konzil von Kons-
tantinopel im Jahre 553 freimachte.
Bezüglich Theodoret von Kyrrhos standen die Väter des Konzils von 553 vor einem
Dilemma, denn Theodoret war nicht nur der bedeutendste Theologe der sogenannten
antiochenischen Schule, sondern auch profiliertester Gegner Kyrills von Alexandria
gewesen.72 Mit anderen Worten, Theodorets Streitschriften gegen Kyrill mit Kyrill
als anerkanntem Grundpfeiler der Orthodoxie in Einklang zu bringen, war schlicht
unmöglich. Konstantinopel verdammte die inkriminierten Schriften Theodorets, was
zumindest impliziert eine Modifikation des Konzils von Chalkedon gleichkam, das
diese Schriften Theodorets widerspruchlos akzeptiert hatte.
Noch bizarrer war die Behauptung des Konzils von 553, dass Ibas - der wie Theo-
doret von Dioskoros 449 verdammt und vom Konzil von Chalkedon wieder in die
Kirche aufgenommen worden war - seinen viel kritisierten Brief an Mari gar nicht ge-
schrieben habe. Dies kann nur als Taschenspielertrick gewertet werden, um das Konzil

70 lustinianus, Contra monophysitas, ed. v. Schwartz, S. 24; Übersetzung Wesche (1991), S. 65-67.

71 Siehe den Überblick bei Lange (2012), S. 371-414 mit weiterführender Literatur.

72 Und natürlich der profundeste Gegenspieler des Dioskoros, der Theodoret 449 beim zweiten Konzil
von Ephesos abgesetzt und verdammt hatte.
 
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