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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0096
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Überblickskommentar: Wirkung 75

Bedenken, die dem alten Pädagogen vergönnt sein müssen, ohne daß er sich, meine ich,
deshalb als .Meister Zettel“ zu fühlen braucht.
[...]
Gegenüber Ihrer .Fülle der Gesichte“ würde es wenig am Platze sein, wenn ich eine ale-
xandrinische Frage an sie richten wollte [...] daher unterlasse ich es (KGB II 2, Nr. 285,
S. 541-543).
N.s Freund Erwin Rohde, der gerade zum Extraordinarius für Klassische Philo-
logie an der Universität Kiel ernannt worden war, fand sich auf Wunsch N.s zu
einer umfangreichen Anzeige in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung bereit,
die sich an alle „ernst Gesinnten“ wandte. Dann aber kam Mitte des Jahres
1872 die vernichtende öffentliche Attacke aus der Feder des eben erst promo-
vierten Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848-1931). Sein Verriss trug den
Titel Zukunftsphilologie! eine erwidrung auf Friedrich Nietzsches „gebürt der tra-
gödie“. Wilamowitz, bald der berühmteste klassische Philologe für mehrere
Generationen, erhob darin schwere „vorwürfe der Unwissenheit und des man-
gels an Wahrheitsliebe“ (S. 32, bei Gründer S. 55), er wies auf „geflissentliche
entstellungen“ (S. 25, bei Gründer S. 48) und kritisierte die „alle schranken
brechende orgiastische mystik“ (S. 18, bei Gründer S. 41): die von Creuzers
Werk ausgehende romantisierende Grundtendenz, die dem Griechenbild der
klassischen Tradition widersprach. Seine - zutreffende - Feststellung zahlrei-
cher Fehler und Ungenauigkeiten ließ Wilamowitz, der wie N. aus der berühm-
ten Schule Schulpforta hervorgegangen war, in dem Ausruf gipfeln: „welche
schände hr. N. machen Sie der mutter Pforte!“ (S. 13, bei Gründer S. 36).
Parodistisch griff er am Ende N.s Aufruf an die Jünger des Dionysos im 20.
Kapitel der Geburt der Tragödie an:
halte hr. N. wort, ergreife er den thyrsos, ziehe er von Indien nach Griechenland, aber
steige er herab vom katheder, auf welchem er Wissenschaft lehren soll; sammle er tiger
und panther zu seinen knieen, aber nicht Deutschlands philologische jugend.
(Der Streit um Nietzsches ,Geburt der Tragödie‘. Die Schriften von E. Rohde, R. Wagner, U.
v. Wilamowitz-Möllendorff zusammengestellt und eingeleitet von Karlfried Gründer, Hil-
desheim 1969, S. 55).
Wagner veröffentlichte einen offenen Brief in der Norddeutschen Zeitung vom
23.6.1872, in dem er N.s „tiefsinnige Abhandlung“ zu verteidigen suchte, und
N., der um seinen wissenschaftlichen Ruf fürchtete, stiftete den Freund Rohde
mit präzisen Ratschlägen zu einer philologischen „Hinrichtung“ an (an Erwin
Rohde, 18.6.1872, KSB 4, Nr. 230, S. 12, Z. 49), die wenig später unter dem
Titel erschien: Afterphilologie. Zur Beleuchtung des von dem Dr. phil. Ulrich von
Wilamowitz-Möllendorff herausgegebenen Pamphlets: „Zukunftsphilologie!“
Sendschreiben eines Philologen an Richard Wagner. Doch war in der wissen-
schaftlichen Welt N.s Reputation nicht mehr zu retten. Wie das Urteil eines
 
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