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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0172
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Stellenkommentar GT 4, KSA 1, S. 40-41 151

geraten, um die von den Sophisten und auch im Ödipus-Drama (von lokaste)
in Zweifel gezogene traditionelle Religion, die auf die Weisheit von Sehern
(Teiresias) und Orakeln (Delphi) vertraute, wieder ins Recht zu setzen. Ex nega-
tivo bringt Sophokles auch die delphische Forderung „Erkenne dich selbst!“
am tragischen Beispiel des Ödipus zur Geltung.
41,12-23 Und so war, überall dort, wo das Dionysische durchdrang, das Apolli-
nische aufgehoben und vernichtet. Aber eben so gewiss ist, dass dort, wo der
erste Ansturm ausgehalten wurde, das Ansehen und die Majestät des delphi-
schen Gottes starrer und drohender als je sich äusserte. Ich vermag nämlich den
dorischen Staat und die dorische Kunst mir nur als ein fortgesetztes Kriegsla-
ger des Apollinischen zu erklären: nur in einem unausgesetzten Widerstreben
gegen das titanisch-barbarische Wesen des Dionysischen konnte eine so trotzig-
spröde, mit Bollwerken umschlossene Kunst, eine so kriegsgemässe und herbe
Erziehung, ein so grausames und rücksichtsloses Staatswesen von längerer Dauer
sein.] Mit seiner Auffassung des Dorischen orientiert sich N. an Karl Otfried
Müllers Werk Die Dorier, 2 Bde, Breslau 1824; vgl. den Kommentar zu 32, 16-
18. Darin ist von einem dorischen Nationalcharakter die Rede, der sich sowohl
in der Politik wie in der Kunst zeige. Die Dorier waren jedoch keine Nation,
sodaß kaum von einem Nationalcharakter die Rede sein kann; sie bildeten
keine ethnische, kulturelle oder politische Einheit, sondern ein Konglomerat
verschiedener Stämme, die um 1200 v. Chr. von Norden her in den ägäischen
Raum einwanderten. K. 0. Müller und in seinem Gefolge N. setzen einfach
,dorisch4 mit,spartanisch4 gleich, wie dies teilweise schon in der Antike üblich
war und sich in der Neuzeit bis hin zu den Faschisten und Nationalsozialisten
fortsetzte. Vgl. auch Gottfried Benns Essay Dorische Welt. Eine Untersuchung
über die Beziehung von Kunst und Macht (1934). Sparta in seiner historisch
greifbaren Form prägte sich aufgrund viel späterer gesellschaftlicher Entwick-
lungen erst seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. zu einem militaristisch organisierten
Staatswesen aus.
41, 28 f. aus dem „erzenen“ Zeitalter, mit seinen Titanenkämpfen] Hesiod teilt
die Weltgeschichte in verschiedene Zeitalter ein, und zwar so, daß sie zum
Schlechteren hin verläuft: auf das Goldene Zeitalter, in dem Gerechtigkeit und
Frieden unter der Regierung des Kronos walten, folgt unter der Herrschaft des
Zeus das Silberne, Bronzene und Eiserne Zeitalter. N. vermischt diese Zeitalter-
Lehre mit dem Mythos von den Titanenkämpfen, in denen Zeus mit seinen
Bundesgenossen die Titanen besiegt, sie in die Unterwelt - den Tartaros -
stürzt und die Herrschaft der olympischen Götter begründet. Vgl. NL 1870/1871/
1872, KSA 7, 8[12], 223, 16-19: „Bei Hesiod zwei Weltalter identisch - (das/
eiserne und heroische. Wie war die eine Vorstellung in die andre zu übertra-
 
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