Metadaten

Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0224
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar GT 9, KSA 1, S. 67-68 203

,Gerechtigkeit4 darstellt. Im Gefesselten Prometheus kommt dies aber noch
nicht zum Tragen, und die folgenden Stücke der Prometheus-Trilogie des
Aischylos sind nur bruchstückhaft überliefert.
68, 14-18 dass der tiefsinnige Grieche einen unverrückbar festen Untergrund
des metaphysischen Denkens in seinen Mysterien hatte, und dass sich an den
Olympiern alle seine skeptischen Anwandelungen entladen konnten.] Die von
Homer episch ausgestaltete olympische Götterwelt war später in der (öffentli-
chen) Polis-Religion verankert, dagegen beruhte die Mysterienreligion partiell
auf Geheimhaltung und war auf mystische Erfahrung und individuelle Erlö-
sung angelegt. Im Hinblick auf sein besonderes Interesse an Dionysos und am
Dionysischen nahm N. die Mysterienreligion insofern besonders wichtig, als
Dionysos auch ein Mysteriengott war. Das Verhältnis von Mysterienreligion und
olympischer Religion entspricht für ihn weitgehend demjenigen von Dionysi-
schem und Apollinischem. In einer Nachlaß-Partie aus der Zeit, in der GT ent-
stand, heißt es: „Jener Verzückungsrausch der dionysischen Orgien hat sich in
den Mysterien gleichsam eingesponnen: es ist derselbe Trieb, der hier und dort
waltet, dieselbe Weisheit, die hier und dort kund gethan wird. Wer möchte
diesen Untergrund des hellenischen Wesens in seinen Kunstdenkmälern ver-
kennen! Jene stille Einfalt und edle Würde [sic! eigentlich: „Edle Einfalt, stille
Größe44] die Winckelmann begeisterte, bleibt etwas Unerklärliches, wenn man
das in der Tiefe fortwirkende metaphysische Mysterienwesen außer Acht läßt.
Hier hatte der Grieche eine unerschütterliche gläubige Sicherheit, während er
mit seinen olympischen Göttern in freierer Weise, bald spielend bald zwei-
felnd, umgieng. Darum galt ihm auch die Entweihung der Mysterien als das
eigentliche Kardinalverbrechen“ (NL 1870/1871, KSA 7, 7[122], 176, 7-19). In den
Aufzeichnungen zu seiner Vorlesung Die vorplatonischen Philosophen (Winter-
semester 1869/70 u.ö.) notiert N.: „Am schwierigsten vielleicht die Stellung
der Mysteriengottheiten zu den olympischen. Dies Problem ist mit besonderer
Weisheit gelöst. Einmal Gottheiten, die alles Vorhandene verklären, als fort-
währende Wächter und Zuschauer alles griech. Daseins, gleichsam Alltagsgott-
heiten: dann für besonders ernste religiöse Erhebungen, als Entladung aller
asketischen und pessimistischen Affekte, die Mysterien mit ihrer Hoffnung auf
Unsterblichkeit. Daß diese beiden verschiedenen Mächte sich nicht einander
schädigten oder verzehrten, muß besonders weise geordnet sein. - Es gab
uralte Theogonien, die bald der einen Götterordnung, bald der anderen zuge-
hörten. Letztere sind dieorphischen Theogonien“ (KGWII4, 219f.). Als eine
dieser orphischen Theogonien führt N. den Mythos von Dionysos Zagreus an:
„Am wichtigsten die Erzählung von Dionysus Zagreus, dem Sohne des Zeus
und der Persephone, der von den Titanen zerfleischt in dem jüngeren Dionysus
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften