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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0242
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Stellenkommentar GT 10, KSA 1, S. 7^-75

zig 1788, S. 435 f.: „Dies ist, in wenig Worten, die Geschichte unserer Afterphilo-
sophen [...] es giebt allerdings auch noch jetzt einige, die der wahren Philoso-
phie ergeben [...] sind [...] Daß ich aber jene unverschämte und allen Göttern
verhaßte Brut hasse, daran glaube ich sehr Recht zu thun. Oder sollte es mög-
lich seyn, daß du, o Pythagoras, du Plato, oder ihr Aristoteles und Chrysippus,
irgend eine Gemeinschaft, Verwandtschaft oder Familienverhältniß zwischen
euch und diesen Leuten anerkennen solltet? Wahrlich, wenn hier ein Verhält -
niß ist, so ist es, wie das Sprüchwort sagt, Herkules und ein Affe. Oder solltet
ihr sie, weil sie lange Bärte tragen, und zu philosophiren vorgeben und finstere
Gesichter schneiden, deswegen gleich für euers erkennen wollen?“
An dieser Stelle und in den folgenden Sätzen konzentriert N. seine Kritik
an Euripides. Später überträgt er sie auf Wagner, insbesondere auf dessen
unecht-schauspielerhafte Züge, die er in der Schrift Der FaZZ Wagner pointiert.
Mitsamt der Vorstellung vom „Affen“ hebt er sie in der Morgenröthe hervor
(M 324; KSA 3, 231, 5-24):
Philosophie der Schauspieler. - Es ist der beglückende Wahn der grossen Schau-
spieler, dass es den historischen Personen, welche sie darstellen, wirklich so zu Muthe
gewesen sei, wie ihnen bei ihrer Darstellung, - aber sie irren sich stark darin: ihre nach-
ahmende und errathende Kraft, die sie gerne für ein hellseherisches Vermögen ausgeben
möchten, dringt nur gerade tief genug ein, um Gebärden, Töne und Blicke und überhaupt
das Äusserliche zu erklären; das heisst, der Schatten von der Seele eines grossen Helden,
Staatsmannes, Kriegers, Ehrgeizigen, Eifersüchtigen, Verzweifelnden wird von ihnen
erhascht, sie dringen bis nahe an die Seele, aber nicht bis in den Geist ihrer Objecte.
Das wäre freilich eine schöne Entdeckung, dass es nur des hellseherischen Schauspielers
bedürfe, statt aller Denker, Kenner, Fachmänner, um in’s Wesen irgend eines Zustandes
hinabzuleuchten! Vergessen wir doch nie, sobald derartige Anmaassungen laut werden,
dass der Schauspieler eben ein idealer Affe ist und so sehr Affe, dass er an das ,Wesen“
und das .Wesentliche“ gar nicht zu glauben vermag: Alles wird ihm Spiel, Ton, Gebärde,
Bühne, Coulisse und Publicum.
75, 4 f. mochtest du auch mit gierigem Zugreifen alle Gärten der Musik plün-
dern] Die Chorlieder in den Tragödien des Euripides waren berühmt für ihren
Melodienreichtum.
75, 7 f. jage alle Leidenschaften von ihrem Lager auf und banne sie in deinen
Kreis] Euripides stellt in mehreren seiner Tragödien die Entfesselung elementa-
rer Leidenschaften dar, so in der Medea, im Hippolytos (in der Gestalt der
Phaidra) und in den Bakchen. Auch hier konnte sich N. an der Euripides-Kritik
A. W. Schlegels orientieren. „Leidenschaft ist ihm das wichtigste“, hatte dieser
bemängelt (S. 103), und dann näher ausgeführt: „Dieser Dichter machte zuerst
die wilde Leidenschaft einer Medea, die unnatürliche einer Phädra zum Haupt-
 
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