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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0375
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354 Die Geburt der Tragödie

Geschichte der Aesthetik lief darauf hinaus, dass die Schönheit in Formen
liege, die als solche absoluten Werth besitzen“. Er spielt auf Hanslicks Werk
Vom Musikalisch-Schönen an (S. 377). Doch kritisierte N. auch das „schlechte
Buch von Lotze“ (NL 1872/1873, KSA 7, 19[292], 510, 8): Geschichte der Aesthe-
tik in Deutschland, München 1868, und plante eine Attacke darauf (NL 1872/
1873, KSA 7, 19[259], 501, 2).
Indem sich N. gegen den Schönheitsbegriff der Wagner-Gegner auf die
„ewige Schönheit“ und das Erhabene beruft, rekurriert er auf die traditionelle
Doppelkonstellation des „Schönen“ und des „Erhabenen“, die - nach der
Gründungsschrift des Pseudo-Longinus Über das Erhabene (nepi ütpovq) und
nach französischen und englischen Vorläufern - seit Kants Kritik der Urteils-
kraft und Schillers Abhandlung Über das Erhabene auch die ästhetischen Theo-
rien in Deutschland stark prägte. Zugleich ruft N. damit Wagners Vorliebe für
das „Erhabene“ auf (vgl. den Überblickskommentar S. 61). In einem nachgelas-
senen Notat des Jahres 1871 konstatiert er, daß „Richard Wagner der Musik den
Charakter des ,Erhabenen4 zuschreibt, im Gegensätze zum Gefällig-Schönen“
(NL 1871, KSA 7, 9[106], 313, 26-28). Doch dient N.s Berufung auf diese Katego-
rien in der hier zu erörternden Passage nur der polemischen Abqualifizierung
der Wagner-Gegner. Sein Angriff auf Otto Jahn hatte aber auch noch einen
anderen Grund - vgl. hierzu NK 130, 13-17.
Später, als sich N. schon von Wagner und dessen Musikästhetik abgewandt
hatte, veröffentlichte Hanslick eine Reihe von Kritiken unter dem Titel Musika-
lische Stationen (Berlin 1885). Darin findet sich ein Artikel mit dem Titel Kriti-
sche Nachfeier von Bayreuth, der auch einen Verriß der Geburt der Tragödie
enthält. Hanslick bezeichnet N.s Erstling als „haarsträubende Abhandlung“.
Der Autor sei der „durch Talent und Bildung wohl hervorragendste, in seinen
Übertreibungen zugleich der abenteuerlichste unter Wagners Kämpen“. Nach
einem längeren Zitat aus GT kommt er zu dem Resultat: „Man glaubt in einem
Narrenhaus zu sein“ (S. 259). Hierzu und zu N.s späterer Übernahme der
musikästhetischen Positionen Hanslicks gegen Wagner vgl. Christoph Lande-
rer/Marc-Oliver Schuster: Nietzsches Vorstudien zur Geburt der Tragödie in
ihrer Beziehung zur Musikästhetik Eduard Hanslicks, in: Nietzsche-Studien 31,
2002, S. 114-133.
127, 34 Otto Jahn] Otto Jahn (1813-1868), klassischer Philologe, Archäologe,
Musikhistoriker (er veröffentlichte 1856-60 bei Breitkopf und Härtel eine vier-
bändige Mozartbiographie) und Musikkritiker, ein Freund Theodor Mommsens,
war schon tot, als N. seine Schrift verfaßte. Er hatte ihn während seines Studi-
ums in Bonn (Herbst 1864 bis Sommer 1865) als Professor der klassischen Phi-
lologie und als Musik-Kenner schätzen gelernt, wurde aber als begeisterter
Anhänger Wagners (seit Herbst 1868) zum Gegner Otto Jahns, weil dieser zu
 
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