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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0385
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364 Die Geburt der Tragödie

Niebuhr (1776-1831), der zu den von N. gelesenen Autoren gehörte und den er
in der Abhandlung Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben aus-
führlich zitiert (KSA 1, 254, 15-26) und würdigt (266, 14 ff.), begründete in den
Vorlesungen, die er an der neuen Berliner Universität hielt, die historische
Quellenkritik (sein Hauptwerk: Römische Geschichte erschien in zwei Bänden
1811/12 und 1832). Johann Gustav Droysen (1808-1884), klassischer Philologe
und Historiker, entdeckte die weltgeschichtliche Bedeutung des Hellenismus
und verlieh ihr in seiner Geschichte Alexanders des Großen (1833) und in seiner
zweibändigen Geschichte des Hellenismus (1836 und 1843) eine mustergültige
Form. Anders als die klassische Philologie seiner Zeit aber, die - wie dann
auch noch N. - diese hellenistische Epoche als bloße Verfallsgeschichte wer-
tete und im Kontrast dazu ein übergeschichtliches Ideal der griechischen Kul-
tur ästhetisierte, verstand Droysen den Hellenismus als eine Epoche produkti-
ver Fortbildung zu einem „neuen Aggregatzustand der Menschheit“
(Geschichte des Hellenismus, Neudruck Tübingen 1952-53, Bd. 3, S. 418). Er
interpretierte die Loslösung von den naturwüchsigen Verhältnissen des alten
Griechenland in der hellenistischen Zeit nicht negativ, sondern, deutlich inspi-
riert von Hegel, als Emanzipationsbewegung des Geistes und des theoriefähig
gewordenen Menschen. Ganz im Gegensatz dazu wendet sich N. in GT vehe-
ment gegen die „Theorie“ und den „theoretischen Menschen“, dessen Prototyp
für ihn Sokrates ist. Mit seinen zwischen 1857 und 1881 immer wieder überar-
beiteten Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte4,
die erst 1937 unter dem Titel Historik ediert wurden, begründete Droysen die
Hermeneutik der historischen Wissenschaften als „forschendes Verstehen“.
Aufgrund dieses - antipositivistischen - Verstehensbegriffes grenzte er diese
Wissenschaften, denen er als erster den Namen „Geisteswissenschaften“ gab,
gegen die „erklärenden“ Naturwissenschaften ab. N. benutzte und zitierte
Droysens zweibändige Aischylos-Übersetzung (Des Aischylos Werke, 2 Bde, Ber-
lin 1832, vgl. NK 77, 19-25). - Theodor Mommsen (1817-1903) wurde vor allem
durch seine fünfbändige Römische Geschichte (Bd. 1-3, 1854-56, Bd. 5, 1885)
berühmt, deren 2. Band N. am 1.7.1871 aus der Universitätsbibliothek Basel
entlieh. Für die auch stilistische Meisterschaft dieses Werks erhielt Mommsen
1902 als erster Deutscher den Nobelpreis für Literatur. Noch zu N.s Lebzeiten
erschien auch sein Römisches Staatsrecht (Bd. 1 u. 2, 1871-1875, Bd. 3 1888),
1899 sein Römisches Strafrecht. Auf Mommsen geht außerdem die große Samm-
lung des Corpus Inscriptionum Latinarum zurück, aus dem sich N. am 9.11.1871
mehrere Bände aus der Universitätsbibliothek Basel lieh (Corpus inscriptionum
Latinarum, Bd. 1, 2 und 4, hg. von der Königlichen Akademie der Wissenschaf-
ten, Berlin 1862-1871).
Wie Droysen und sogar noch mehr als dieser war Mommsen politisch enga-
giert, er stand auf der Seite der bürgerlichen Linken; nach vorangehenden
 
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