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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0046
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20 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

tiert N. Strauß auch einige Seiten zuvor: „Er gehört zu denen, die in einem
gewissen Alter unfähig sind, Kant zu verstehen“ (NL 1873, TI [18], KSA 7, 591).
Und dann stellt N. sogar die polemische Spekulation an: „Schopenhauer würde
von Strauß sagen: ein Autor der nicht durchblättert, geschweige studirt zu wer-
den lohnt: außer für den, der den Grad des jetzigen Stumpfsinns ermessen
will“ (NL 1873, 27 [50], KSA 7, 601). In einem anderen Nachlass-Notat erklärt N.
mit sarkastischer Konzilianz: „Es ist tröstlich, wenn einer alt wird und sein
litterarisches Testament macht; man darf anfangen ihn zu vergessen und nicht
mehr zu lesen - und das ist ein positiver Gewinn“ (NL 1873, TI [8], KSA 7, 589).
Radikal kritisiert N. in seinen nachgelassenen Entwürfen eine inadäquate
Kritik am Christentum, die er bei David Friedrich Strauß auf Einseitigkeit und
auf die Vernachlässigung wesentlicher kulturgeschichtlicher Aspekte zurück-
führt: „Er sieht nirgends, wo die Probleme liegen. Er nimmt das Christenthum,
die Kunst immer in der niedrigsten demokratischen Verkümmerung und wider-
legt dann. Er glaubt an die moderne Kultur - aber die antike war eine viel
größere und doch ist das Christenthum darüber Herr geworden. Er ist kein
Philosoph. Er ist ohne Stilgefühl. Er ist kein Künstler. Er ist ein M a g i s t e r. Er
zeigt den magisterhaften Typus der Bildung unsrer Bourgeoisie“ (NL 1873, TI
[2], KSA 7, 588). Und N. fährt fort: „Das Bekenntniß ist eine Überschreitung
seiner Grenze: der Gelehrte ist zu Grunde gegangen, dadurch daß er Philosoph
scheinen wollte. Und doch ist nur ein magisterhaftes Wesen von Weltanschau-
ung, unfrei, ärmlich, bornirt, entstanden“ (ebd.). Als philiströsen „Magister“
verspottet N. David Friedrich Strauß dann auch wiederholt in der gedruckten
Fassung von UB I DS (vgl. z. B. 176, 5, 8; 180, 3; 181, 14; 185, 4, 23, 26; 186, 4,
6). In einem der Nachlass-Notate formuliert N. das Pauschal-Verdikt: „Er ist ein
schlechter Stilist und ein unbedeutender Autor, dazu nicht auf seinem Felde.
Übrigens ein Greis“ (NL 1873, TI [2], KSA 7, 588). „Die Dummheit der Theologen
hat ihn berühmt gemacht“ (NL 1873, TI [14], KSA 7, 590). Seine polemische Be-
merkung „Bei Strauß ist kein Zusammenhang, es sind Lappen“ begründet N.
so: „Sein Darwinismus und seine Ethik klaffen, der Erstere hätte eine Ethik
des bellum omnium und der höheren Utilität und Macht erzeugen sollen. Der
Artbegriff als Moralregulativ ist ganz unzureichend [...]“ (NL 1873, TI [2], KSA 7,
588).
In KGWIII5/1 (S. 349-356) sind Exzerpte abgedruckt, die N. für die Arbeit
an ANG anfertigte. Dabei handelt es sich um die „Sammlung von Stilproben
der abscheulichsten Art“, die er Wagner bereits am 18. April 1874 brieflich an-
gekündigt hat (KSB 4, Nr. 304, S. 145). Einen Großteil davon integriert N. in das
12. und letzte Kapitel von UB I DS, das er mit dem Satz einleitet: „Zum Schluss
wollen wir doch unserem klassischen Prosaschreiber die versprochene Samm-
lung von Stilproben vorlegen“ (227, 30-31). Insgesamt umfassen die Zitate, die
 
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