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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0071
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Überblickskommentar, Kapitel 1.5: Rezeption 45

sehen Philisterbekenntnisse“ ein (173, 23-24). - Und Heinrich von Treitschke
teilt N.s Freund Franz Overbeck am 28. Oktober 1873 mit, N. äußere sich in
UBI DS „erschreckend wahr“ über „die Halbbildung der Gegenwart“, sei aber
„ungerecht“ im „Urtheil über das heutige Deutschland“, weil er in ihm „nur
den Verfall zu sehen“ vermöge. Und prononciert erklärt er: „Ich habe noch
Niemand gesehen, der sich an der Schrift gefreut hätte“ (zitiert nach Hauke
Reich 2013, 303). Knapp neun Jahre später formuliert Heinrich von Treitschke
am 11. September 1881 in einem Brief an Franz Overbeck dann das Verdikt:
„Dein Unglück ist dieser verschrobene Nietzsche, der sich so viel mit seiner
unzeitgemäßen Gesinnung weiß und doch bis ins Mark angefressen ist von
dem Zeitgemäßesten aller Laster, dem Größenwahn“ (zitiert nach Reich 2013,
456).
Die mit den Initialen B.F. versehene Rezension Herr Friedrich Nietzsche und
die deutsche Cultur (in: Die Grenzboten, Leipzig, Bd. 32, Nr. 42 vom 17. Oktober
1873, 104-110) stammt (laut Reich: ebd., 322) vermutlich von N.s späterem
Schwager Bernhard Förster. (Alternative Möglichkeiten für die Zuschreibung
der Autorschaft nennt Hauke Reich 2013, 322). Diese Rezension, die vom Insis-
tieren auf „unserm nationalen Gefühl“ geprägt ist (ebd., 328), enthält ebenfalls
eine radikale Kritik an N.s UB I DS. Die Rezension betont „die Rohheit des An-
greifers“ (ebd., 325), zumal „selten auf hundert Seiten so viel geschimpft wor-
den“ sei (ebd., 324), um dann fortzufahren: N. „ist an unsrer Kultur irre gewor-
den, weil seine Definition von Kultur nicht auf Deutschland paßt oder vielmehr
umgekehrt, weil die deutsche Kultur so ungezogen ist, nicht zu Herrn Nietz-
sche’s Definition zu passen“ (ebd., 324). Daraus ergibt sich die Frage, ob für
N.s „Pamphlet“ eigentlich „der Angriff gegen Strauß oder die Verunglimpfung
Deutschlands“ die „Hauptsache gewesen sei“ (ebd., 326). In der Rezension
wird konstatiert: „Indem Herr Nietzsche aber unsere Kulturlosigkeit an dem
Beifall mißt, den das Buch von Strauß gefunden, verschweigt er böslicher Wei-
se, daß unter allen Kritiken und Schriften, welche David Strauß’ Buch hervor-
gerufen hat, die abfälligen Urtheile den beifälligen nach Zahl und Gehalt min-
destens die Wage [sic] halten“ (ebd., 325). Und dann schließt die Rezension
mit dem ironischen Plädoyer: „Böses Deutschland, womit hast du den Zorn
deines großen Sohnes verschuldet? Bessre dich!“ (ebd., 328). - N. selbst be-
zieht sich auf diese Rezension am 27. Oktober 1873 in einem Brief an Carl von
Gersdorff: „Neun Basler Zeitungsblätter haben nun über mich gesprochen, in
allen Tonarten, und in summa höchst ernsthaft in Vergleich zu dem Grenzbo-
ten-Wütherich und Frevler“ (KSB 4, Nr. 324, S. 174.)
Dass N. die Rezension von B.F. zu UB I DS selbst anderthalb Jahrzehnte
später noch nicht vergessen hat, zeigt eine Bemerkung in seiner Spätschrift
Ecce homo: „Das Unanständigste leistete ein Leipziger Blatt, die berüchtigten
 
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