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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0077
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Überblickskommentar, Kapitel 1.6: Strauß’ Biographie und Werk 51

lichkeit seines Angriffsziels, sondern auch wegen seiner eigenen schulmeister-
lichen Pedanterie, mit der er zum Beispiel am Schluß eine langweilige Liste
der stilistischen Fehler von Strauss erstellt. Nietzsche hat kein Glück gehabt;
er verstand es damals noch nicht, sich Gegner auszusuchen, die Zukunft vor
sich hatten“ (KSA 1, 905-906).

1.6 David Friedrich Strauß: Biographie und Werk
Öffentliche Aufmerksamkeit erlangte David Friedrich Strauß insbesondere mit
seinem Buch Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet (1835/36), das ihn einerseits
zum „berühmteste[n] Theologe[n] Deutschlands“ avancieren ließ, andererseits
aber zugleich auch einen Skandal auslöste, weil es heftige theologische Kont-
roversen zur Folge hatte. Strauß betonte eine prinzipielle Differenz zwischen
dem historischen Jesus und der Divinität des Christus-Bildes in den Evangeli-
en, das die Basis der kirchlichen Tradition darstellt. Im Unterschied zu den
Parteien der Supranaturalisten und der Rationalisten in der zeitgenössischen
Theologie versuchte Strauß mit dem Mythos-Begriff einen neuen Zugang zu
den Evangelien zu gewinnen. Seine entschiedene Kritik an der dokumentari-
schen Basis der Evangelien führte im orthodoxen Protestantismus zum Eklat
und hatte zur Folge, dass Strauß seine Position als Repetent am Tübinger Stift
verlor und dass auch seinen späteren Ambitionen auf ein akademisches Lehr-
amt kein Erfolg beschieden war. Seit der Publikation seines Buches Das Leben
Jesu, kritisch bearbeitet galt er unter den Theologen als „für jede kirchliche und
akademische Stellung lebenslänglich unmöglich“ (Karl Barth 1952, 491). - Eine
zentrale Bedeutung erlangte David Friedrich Strauß allerdings im Zusammen-
hang mit der ,Leben-Jesu-Forschung‘, die in ihren Wurzeln bis in die Epoche
der Aufklärung zurückreichte. Sie verfolgte die Intention, die Biographie des
historischen Jesus von Nazareth mithilfe wissenschaftlich-kritischer Methoden
zu untersuchen. Auf der Basis quellenkritischer Forschungen versuchte Strauß
den mythologischen Charakter biblischer Darstellungen aufzuzeigen und zu-
gleich auch ihre dogmatischen Prägungen deutlich zu machen. (Zur theologi-
schen Thematik vgl. Theißen/Merz 2011.)
David Friedrich Strauß wurde am 27. Januar 1808 in Ludwigsburg geboren.
Nach dem Besuch der Lateinschule in Ludwigsburg kam er im Alter von drei-
zehn Jahren an das traditionsreiche Seminar in Blaubeuren und durchlief dort
die württembergische Predigerausbildung: Nachdem er vier Jahre in Blaubeu-
ren verbracht hatte, besuchte er ab 1825 gemeinsam mit seinen Freunden
Friedrich Theodor Vischer und Christian Märklin das Evangelische Stift zu Tü-
bingen und beendete dort fünf Jahre später sein Theologiestudium. Prägenden
 
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