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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0083
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Überblickskommentar, Kapitel 1.7: Strauß’ Buch Der alte und der neue Glaube 57

Glaube4 ist keines der besten Bücher des berühmten Verfassers“ (zitiert nach
dem Wiederabdruck von Emil Kuhs Rezension in Hauke Reich 2013, 432). Zu
Kuhs kritischen Argumenten vgl. die Belege in Kapitel 1.5 dieses Überblicks-
kommentars. - N. moniert in UBI DS nicht nur die Schwächen von Strauß’
Argumentation, sondern darüber hinaus auch erhebliche Defizite in der
sprachlichen Gestaltung, die er durch eine Vielzahl von Textzitaten zu belegen
sucht. Giorgio Colli übt zu Recht Kritik sowohl an Strauß’ ANG als auch an
N.s Polemik gegen dieses Buch in UB I DS. So hält er UB I DS sogar für „das
schwächste Werk“ N.s überhaupt (vgl. dazu sein Urteil im Nachwort zu KSA 1,
905-906 - ausführlich zitiert am Ende von Kapitel 1.5 dieses Überblickskom-
mentars).
Die Struktur des Buches Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntniß ist
durch vier Fragen vorgegeben, mit denen Strauß jeweils die Hauptkapitel beti-
telt hat: I. Sind wir noch Christen? - II. Haben wir noch Religion? - III. Wie
begreifen wir die Welt? - IV. Wie ordnen wir unser Leben? - Während Strauß
die ersten beiden Fragen im Sinne seiner kritischen Theologie, die auf eine
Abkehr vom traditionellen christlichen Glauben zielt, negativ beantwortet, ver-
sucht er in den anschließenden beiden Kapiteln, die sich auf die Beantwortung
der dritten und vierten Frage konzentrieren, den „neuen Glauben“ positiv dar-
zustellen. Zu diesem Zweck rekapituliert Strauß im dritten Kapitel von ANG
Aspekte moderner Wissenschaften, indem er sich auf philosophische, kosmo-
logische und biologische Konzepte vor allem von Kant, Lamarck, Haeckel und
Darwin beruft. In diesem Kontext entwirft Strauß auch diffus bleibende Vor-
stellungen von einem Glauben an das Universum und von einem „Gefühl für
das All“ (ANG 143,19-20). - Diese Imagination verspottet N., wenn er im 3. Ka-
pitel von UB I DS ironisch erklärt, Strauß vermeine in ANG „den Katechismus
,der modernen Ideen4 zu schreiben und die breite ,Weltstrasse der Zukunft4 zu
bauen“ (175, 24-25). Zudem kritisiert N. im 9. Kapitel von UB I DS schon diesen
Begriff des ,neuen Glaubens4 selbst (210-212). So konstatiert er polemisch,
Strauß habe „nie aufgehört“, ein „christlicher Theologe zu sein“, und „deshalb
nie gelernt [...] Philosoph zu werden“; infolgedessen sei er auch nicht dazu
imstande, „zwischen Glauben und Wissen zu unterscheiden“, und nenne da-
her permanent „seinen sogenannten ,neuen Glauben4 und die neuere Wissen-
schaft in Einem Äthern“ (210, 22-27). Auf diese Weise suggeriere Strauß fälsch-
lich, diese Begriffe seien Synonyma (vgl. 210, 29-34). N. selbst hält dieser
irrtümlichen Annahme seine resümierende Feststellung entgegen, die den
Kontrast exponiert und zugleich auch die Radikalität evident macht, die für
die Konzepte des Theologen Strauß in ANG charakteristisch ist: „Im Grunde ist
also die neue Religion nicht ein neuer Glaube, sondern fällt mit der modernen
Wissenschaft zusammen, ist also als solche gar nicht Religion“ (211, 5-7). Laut
 
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