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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0169
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Stellenkommentar UB I DS 6, KSA 1, S. 189-191 143

lohnt: außer für den, der den Grad des jetzigen Stumpfsinns ermessen will“
(NL 1873, TI [50], KSA 7, 601). Für die Druckversion von UB I DS hat N. die kriti-
sche Ansicht nicht übernommen, Strauß’ Werk lasse sich als Indikator für „den
Grad des jetzigen Stumpfsinns“ nutzen. Aber auch in UB I DS findet sich die
polemische Inversion der Perspektive. Im vorliegenden Kontext beschreibt N.
den „Philisterhäuptling“ Strauß als einen Autor, „dem man gerade nachweisen
kann, dass er Schopenhauer nie studirt hat, er, von dem Schopenhauer umge-
kehrt sagen müsste: ,das ist ein Autor, der nicht durchblättert, geschweige stu-
dirt zu werden verdient.“4 (190, 7-11).
190, 15-23 er nennt dessen Allgemeine Geschichte und Theorie des Himmels
vom Jahre 1755 „eine Schrift, die mir immer nicht weniger bedeutend erschienen
ist, als seine spätere Vernunftkritik. Ist hier die Tiefe des Einblicks, so ist dort die
Weite des Umblicks zu bewundern: haben wir hier den Greis, dem es vor allem
um die Sicherheit eines wenn auch beschränkten Erkenntnissbesitzes zu thun ist,
so tritt uns dort der Mann mit dem vollen Muthe des geistigen Entdeckers und
Eroberers entgegen.“] Zitat aus Strauß’ ANG 149, 19 - 150, 3 (mit marginalen
Abweichungen). Der Kant-Titel wird von N. inkorrekt wiedergegeben. Gemeint
ist Kants Abhandlung Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels
(1755 verfasst und anonym publiziert), die aus der sogenannten ,vorkritischen4
Phase Kants stammt, also aus der Zeit vor der fundamentalen transzendental-
philosophischen Neuorientierung in seiner Kritik der reinen Vernunft (1781). N.
betrachtet Strauß’ Kant-Reverenz als repräsentativ für dessen Tendenz zu ei-
nem Übermaß „naiver Lobreden“ (190, 13-14). Zu N.s Kritik an Strauß’ Bezug-
nahmen auf Kant vgl. die detaillierteren Angaben in NK 191, 3-8 und NK 191,
8-11.
191, 3-8 Für den Philisterhäuptling und seine „Wir“ giebt es keine Kantische
Philosophie. Er ahnt nichts von der fundamentalen Antinomie des Idealismus und
von dem höchst relativen Sinne aller Wissenschaft und Vernunft. Oder: gerade
die Vernunft sollte ihm sagen, wie wenig durch die Vernunft über das Ansich der
Dinge auszumachen ist.] Für den vorliegenden Kontext übernimmt N. ein Notat
aus seinen Vorarbeiten zu UB I DS, in dem er Strauß folgendermaßen kritisiert:
„Er ahnt nichts von der fundamentalen Antinomie des Idealismus und von
dem höchst relativen Sinn aller Wissenschaft und Vernunft. Oder: gerade die
Vernunft sollte ihm sagen, wie wenig durch die Vernunft über das Ansich der
Dinge auszumachen ist“ (NL 1873, TI [1], KSA 7, 587). Besonders scharf formu-
liert N. sein Verdikt in zwei weiteren Nachlass-Notaten, in denen er Strauß eine
beschränkte intellektuelle Kapazität attestiert: „Er gehört zu denen, die in ei-
nem gewissen Alter unfähig sind, Kant zu verstehen“ (NL 1873, TI [18], KSA 7,
591). „Was Strauß gegen die Antinomie der Unendlichkeit sagt, ist furchtbar
 
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