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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0172
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146 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

gungen durch den Hegelianismus zurück. Schopenhauer sieht in der Schrift
Ueber die Universitäts-Philosophie durch mediokre Philosophieprofessoren
„Kants, eine Weltepoche in der Philosophie begründende Leistungen ver-
drängt“ (PP I, Hü 191). Darin erblickt er die Ursache für den „Rückschritt vom
größten Fortschritt, den jemals die Philosophie gemacht“ hat (PP I, Hü 182).
Und diese Konstellation hatte laut Schopenhauer den „nachtheiligsten Einfluß
auf die Bildung des Zeitalters“ (PP I, Hü 184) und der „Wahrheitsforschung“
(PP I, Hü 149). Die „drei Windbeutel“ (PP I, Hü 180) Fichte, Schelling und vor
allem Hegel macht Schopenhauer sowohl in der Welt als Wille und Vorstellung
als auch in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie wiederholt für
Fehlentwicklungen in der Philosophie und in der zeitgenössischen Kultur ins-
gesamt verantwortlich. Schopenhauers Affinität zu Kant und seine Aversion
gegen Hegel haben maßgebliche Bedeutung auch für N.s Kritik an Strauß’ kriti-
schen und affirmativen Bezugnahmen auf Kant. Außerdem ist eine Beeinflus-
sung durch den mit N. befreundeten Kant-Spezialisten Heinrich Romundt an-
zunehmen (vgl. dazu NK191, 3-8).
Die von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) verfasste Phänomenolo-
gie des Geistes (1807) gehört zu den wirkungsmächtigen systematischen Ent-
würfen des Deutschen Idealismus und beeinflusste später Existentialisten, Mar-
xisten und Hermeneutiker. Dass N. selbst zu Hegel eine durchaus ambivalente
Einstellung hatte, erhellt daraus, dass er ihm einerseits Esprit zuspricht, ihn
andererseits jedoch für obsolet hält. So erwähnt er in UB II HL „die in älteren
Köpfen noch qualmende Hegelische Philosophie“ (KSA 1, 297, 6-7), betont aber
in der Morgenröthe: „Von den berühmten Deutschen hat vielleicht Niemand
mehr esprit gehabt, als H e g e 1, - aber er hatte dafür auch eine so grosse deut-
sche Angst vor ihm, dass sie seinen eigenthümlichen schlechten Stil geschaf-
fen hat“ (KSA 3, 166, 31 - 167, 3).
191,12-13 Schleiermacher, „der des Scharfsinns fast allzuviel besass“] Hier zi-
tiert N. aus Strauß’ ANG (42, 13-17): „Ganz so schlimm lagen die Dinge noch
nicht, aber mit wenig Scharfsinn ließ sich vorhersehen, daß es so kommen
würde, als ein Mann, der des Scharfsinns fast allzuviel besaß, als Schleierma-
cher mit seinem theologischen System hervortrat.“ David Friedrich Strauß
schließt diesen Satz an eine bewusst überpointierte Darstellung der histori-
schen Kritik in der Theologie an. - Der evangelische Theologe, Philosoph und
Pädagoge Friedrich Schleiermacher (1768-1834) bemühte sich darum, die ei-
nander diametral gegenüberstehenden Positionen des Rationalismus und des
Supranaturalismus miteinander zu versöhnen. Erste Ansätze zu einer solchen
Vermittlungstheologie sind bereits 1799 in seiner Schrift Über die Religion. Re-
den an die Gebildeten unter ihren Verächtern zu erkennen. In dieser zunächst
anonym publizierten Schrift versuchte Schleiermacher die religiöse Besinnung
 
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