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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0175
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Stellenkommentar UB I DS 6, KSA 1, S. 191 149

NK 346, 12-14; NK 364, 7—9; NK 407, 29-31; NK 417, 19-21 (mit Belegen von N.
und Schopenhauer).
191, 20-22 Wer einmal an der Hegelei und Schleiermacherei erkrankte, wird nie
wieder ganz curirt.] Dass diese Polemik auf David Friedrich Strauß zielt, erhellt
schon daraus, dass N. ihn kurz zuvor in ein Abhängigkeitsverhältnis „zu Hegel
und Schleiermacher“ gerückt hat (191, 14-15). Evidenz schafft ein Nachlass-
Notat, in dem N. zunächst die „furchtbare Dilapidation der Hegelei“ betont,
um dann zu konstatieren: „Auch wer sich zu retten verstand, wie Strauß, ist
nie wieder völlig zu kuriren“ (NL 1873, TI [30], KSA 7, 595). Vehemente Attacken
auf Hegel, daneben auch auf Fichte und Schelling, sind in den Werken Scho-
penhauers ubiquitär. Wenn N. mit medizinischer Metaphorik die Diagnose
stellt, Strauß sei von der „Hegelei“ infiziert (191, 21), dann greift er sogar be-
grifflich auf Schopenhauer zurück, der das Wort „Hegelei“ wiederholt benutzt,
beispielsweise in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie, die er im
Rahmen der Parerga und Paralipomena I publizierte (PP I, Hü 156, 157, 177, 178,
205). Hier wendet sich Schopenhauer auch gegen Schleiermacher (PP I,
Hü 174, 182). Zu N.s Orientierung an Urteilen und Meinungen Schopenhauers
vgl. die Überblickskommentare zu UB I DS und zu UB III SE (besonders Kapitel
III.4). Den von Schopenhauer übernommenen Begriff „Hegelei“ verwendet N.
nicht nur in UB I DS, sondern auch in UB III SE (KSA 1, 423, 26).
191, 24 jener incurable Optimismus] jener unheilbare Optimismus.
191, 25 - 192, 3 „Wenn die Welt ein Ding ist, sagt Strauss, das besser nicht wäre,
ei so ist ja auch das Denken des Philosophen, das ein Stück dieser Welt bildet,
ein Denken, das besser nicht dächte. Der pessimistische Philosoph bemerkt nicht,
wie er vor allem auch sein eigenes, die Welt für schlecht erklärendes Denken für
schlecht erklärt; ist aber ein Denken, das die Welt für schlecht erklärt, ein
schlechtes Denken, so ist ja die Welt vielmehr gut. [...] jede wahre Philosophie ist
nothwendig optimistisch, weil sie sonst sich selbst das Recht der Existenz ab-
spricht.“] Zitat aus Strauß’ ANG 142,19 - 143, 4 (ohne Abweichung). Vgl. Exzerp-
te aus ANG (KGWIII5/1), S. 353. - Durch den obigen Gedankengang versucht
David Friedrich Strauß den metaphysischen Pessimismus Schopenhauers als
immanenten Selbstwiderspruch zu entlarven und ihn dadurch ad absurdum zu
führen. Durch diese Strategie will er seine eigenen optimistischen Prämissen
in Stellung bringen und ihnen zugleich den Status einer unabweisbaren philo-
sophischen Notwendigkeit sichern. Allerdings kommt die nur scheinbar plau-
sible Quintessenz, die Strauß hier zieht, durch eine problematische Kombina-
tion von Supposition, Ambiguität und Petitio Principii zustande. So changieren
etwa die Implikationen des Adjektivs ,schlecht4 zwischen pessimistischer Nega-
tivität, moralischer Verurteilung und logischer Defizienz. Die suggestive Evi-
 
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