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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0181
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Stellenkommentar UB I DS 7, KSA 1, S. 193 155

und eine Nähe zum anachoretischen Mönchstum fehle. Aus der Perspektive
von Befürwortern und Kritikern galt Overbeck als Repräsentant einer schopen-
hauerischen Theologie (Pestalozzi 1988, 98). Zu den theologischen Debatten
im zeitgenössischen Protestantismus vgl. ebd., 91-107.
193,10-11 „Perser nennen’s bidamag bilden, / Deutsche sagen Katzenjammer“.]
Vgl. dazu den Kontext in Strauß’ ANG 248, 9-13: „Die Menschen waren mit
Genüssen aller Art übersättigt; es überkam sie ein Uebelbefinden, eine Stim-
mung ging durch die Welt, wie es im west-östlichen Divan heißt: Perser nen-
nen’s bidamag buden, / Deutsche sagen Katzenjammer.“ - In Goethes West-
östlichem Divan (IX, 13) heißt es im „Schenkenbuch“: „Welch ein Zustand! Herr,
so späte / Schleichst du heut aus deiner Kammer; Perser nennen’s Bidamag
buden, / Deutsche sagen Katzenjammer“ (Goethe: FA, Bd. 3/1, S. 108). - N.
rekurriert hier mit kritischer Intention auf David Friedrich Strauß’ Zitat aus
Goethes West-östlichem Divan: Er will Strauß’ naive Polemik gegen den Pessi-
mismus attackieren, der die „Verneinung“ und die „asketische Heiligung in
den ersten Jahrhunderten des Christenthums“ (193, 4-6) zu einem bloßen „Kat-
zenjammer“ trivialisiert. Nach N.s Überzeugung hat Strauß mit dieser banalen
Ansicht hier nicht nur das Ethos des Christentums, sondern auch den philoso-
phischen Anspruch Schopenhauers missverstanden.
7.
193, 21-22 die Geschichte von der Auferstehung Jesu mag ein „welthistorischer
Humbug” genannt werden] Vgl. dazu Strauß’ ANG (72): „Historisch genommen,
d. h. die ungeheuren Wirkungen dieses Glaubens mit seiner völligen Grundlo-
sigkeit zusammengehalten, läßt sich die Geschichte von der Auferstehung Jesu
nur als ein welthistorischer Humbug bezeichnen.“ Dieselbe ANG-Stelle zitiert
N. auch in 195, 3 und 232, 14-15. - Der Glaube an die Auferstehung Christi ist
ein zentrales Dogma des Christentums, das von biblischen Berichten hergelei-
tet und zugleich mit zentralen christlichen Heilserwartungen verbunden wird
(vgl. in der Bibel z. B. den Römer-Brief 10, 9). Die historische Bibelkritik, an die
David Friedrich Strauß anschließen konnte, hatte bereits im 18. Jahrhundert
den Auferstehungsglauben in Frage gestellt. Vgl. dazu die Positionen des Popu-
larphilosophen Hermann Samuel Reimarus, der auf Ideen der englischen Deis-
ten zurückgriff und sie mit einer historisch-kritischen Bibelforschung zu verbin-
den versuchte. David Friedrich Strauß’ Erstlingswerk Das Leben Jesu, kritisch
bearbeitet (1835) zeigt Affinitäten zu den Positionen von Reimarus, über den
Strauß Jahrzehnte später ein Buch mit dem Titel Hermann Samuel Reimarus
und seine Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes publizierte (1862).
 
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