Metadaten

Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0186
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
160 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

in der Menschheitsgeschichte einen kriegerischen Naturzustand voraus, den
„bellum omnium contra omnes“, der dem Gesellschaftszustand historisch vo-
rangegangen sei: „Ostendo primo conditionem hominum extra societatem civi-
lem [...] aliam non esse quam bellum omnium contra omnes“ (Praefatio 14). Zu
Hobbes vgl. auch NK 194, 33. - Der Originaltext in Hobbes’ Werk De Cive (1,
12) lautet so: „Ad naturalem hominum proclinitatem ad se mutuo lacessen-
dum, quam ab affectibus, praesertim vero ab inani sui aestimatione deriuant,
si addas iam ius omnium in omnia, quo alter iure innadit, alter iure resistit,
atque ex quo oriuntur omnium aduersus omnes perpetuae suspiciones & Studi-
um; & quam difficile sit praecauere hostes, paruo numero & apparatu, cum
animo nos praeuertendi opprimendique inuadentes, negari non potest quin
Status hominum naturalis antequam in societatem coiretur Bellum fuerit; neque
hoc simpliciter, sed bellum omnium in omnes. Bellum enim quid est, praeter
tempus illud in quo voluntas certandi per vim verbis factisve satis declaratur?
Tempus Reliquum Pax vocatur“. („Nimmt man nun zu der natürlichen Neigung
der Menschen, sich gegenseitig Schaden zuzufügen, einer Neigung, die aus
ihren Leidenschaften, hauptsächlich aber aus ihrer eitlen Selbstüberschätzung
hervorgeht, dies Recht aller auf alle hinzu, nach welchem der eine mit Recht
angreift und der andere mit Recht Widerstand leistet, und aus welchem stets
Mißtrauen und Verdacht nach allen Seiten hin hervorgeht, und erwägt man,
wie schwer es ist, gegen Feinde, selbst von geringer Zahl und Macht, die mit
der Absicht, uns zu unterdrücken und zu vernichten, uns angreifen, sich zu
schützen: so kann man nicht leugnen, daß der natürliche Zustand der Men-
schen, bevor sie zur Gesellschaft zusammentreten, der Krieg gewesen ist, und
zwar nicht der Krieg schlechthin, sondern der Krieg aller gegen alle. Denn was
ist der Krieg anderes als jene Zeit, wo der Wille, mit Gewalt seinen Streit auszu-
fechten, durch Worte oder Taten deutlich erklärt wird? Die übrige Zeit nennt
man Frieden“, Übersetzung von Max Frischeisen-Köhler und Günter Gawlick).
Zu Thomas Hobbes generell vgl. Otfried Höffe 2010.
In Analogie zu diesem Konzept statuiert Hobbes 1651 in seinem staatsphilo-
sophisch ausgerichteten Werk Leviathan: „Out of civil state, there is always
war of every one against every one“ (Leviathan 13, 8). - Die Gesellschaftstheo-
rie von Thomas Hobbes lässt Affinitäten nicht nur zu Aspekten der Willensphi-
losophie Schopenhauers erkennen, der sich in der Welt als Wille und Vorstel-
lung nachdrücklich auf Hobbes’ Diktum vom „bellum omnium contra omnes“
beruft (WWVI, § 61, Hü 393; WWVII, Kap. 28, Hü 404), sondern auch zu Darwins
Selektionstheorie, nach der sich Individuen und Arten in einem fortwährenden
Existenzkampf befinden, in einem permanenten ,struggle for life‘ (,Kampf ums
Dasein4).
Wie Hobbes greift auch N. auf anthropologische und staatstheoretische
Konzepte des Thukydides zurück. Vgl. dazu NL 1875, 12 [21], KSA 8, 256-257:
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften