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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0467
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Stellenkommentar UB II HL 2, KSA 1, S. 260 441

ten, es ist ein Protest gegen den Wechsel der Geschlechter und die Vergänglich-
keit.] Die von N. zitierte Aussage stammt aus den Aphorismen zur Lebensweis-
heit (1851), die Schopenhauer im Rahmen seiner Parerga und Paralipomena I
publizierte, und zwar in Kapitel IV „Von Dem, was Einer vorstellt“. Hier
schreibt er: „In eudämonologischer Hinsicht ist also der Ruhm nichts weiter,
als der seltenste und köstlichste Bissen für unsern Stolz und unsere Eitelkeit.
Diese aber sind in den meisten Menschen, obwohl sie es verbergen, übermäßig
vorhanden, vielleicht sogar am stärkesten in Denen, die irgendwie geeignet
sind, sich Ruhm zu erwerben und daher meistens das unsichere Bewußtseyn
ihres überwiegenden Werthes lange in sich herumtragen müssen, ehe die Gele-
genheit kommt, solchen zu erproben und dann die Anerkennung desselben zu
erfahren: bis dahin war ihnen zu Muthe, als erlitten sie ein heimliches Un-
recht“ (PP I, Aphorismen zur Lebensweisheit, Hü 424). - Indem N. Schopen-
hauers Formulierung „nichts weiter, als“ durch die Wendung „doch etwas
mehr als“ ersetzt, modifiziert er die Aussage Schopenhauers so, dass die Vor-
stellung des Ruhms dadurch eine deutliche Aufwertung erfährt.
Zuvor metaphorisiert N. die „Zusammengehörigkeit und Continuität des
Grossen aller Zeiten“, indem er die eigentliche geschichtliche Struktur der mo-
numentalischen Historie mit großen ,Momenten4 und bedeutenden Individuen
korreliert: „Dass die grossen Momente im Kampfe der Einzelnen eine Kette bil-
den, dass in ihnen ein Höhenzug der Menschheit durch Jahrtausende hin sich
verbinde, [...] - das ist der Grundgedanke im Glauben an die Humanität, der
sich in der Forderung einer monumentalischen Historie ausspricht“ (259,
12-18).
In Jacob Burckhardts Griechischer Kulturgeschichte konnte N. die Vorstel-
lung finden, die Geschichte sei „ein ungeheures Kontinuum“, „das am richtig-
sten als Bild zu gestalten wäre“ (Burckhardt: Werke. Kritische Gesamtausgabe,
Bd. 8, 1930, 5). Das von Burckhardt vorgestellte ,Bild‘ liefert N. mit der Meta-
pher „Höhenzug“. In seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen (Historische
Fragmente aus dem Nachlaß) betont bereits Jacob Burckhardt die „innere
Zusammengehörigkeit“ aller Ereignisse, die zur „dauernden Gestaltung“ des
menschlichen Geistes führen sollen (Burckhardt: Werke. Kritische Gesamtaus-
gabe, Bd. 7, 1929, 251). N. hat Burckhardts Vorlesung Über das Studium der
Geschichte im Wintersemester 1870/71 in Basel selbst gehört (vgl. KSB 3,
Nr. 107, S. 155) und Gedanken aus ihr übernommen (vgl. auch NK 308, 11-16).
Jacob Burckhardt schreibt in seinen Aufzeichnungen zu dieser Vorlesung: „Die
Vergangenheit als Continuität des Geistes aufgefaßt ist der höchste geistige
Besitz späterer Zeiten“ (Burckhardt: Über das Studium der Geschichte. Der Text
der Weltgeschichtlichen Betrachtungen4, 1982, 171). Vgl. auch NK 256, 2-9. Da-
mit orientierte sich Burckhardt an seinem Lehrer Droysen, dessen Vorlesungen
er in Berlin gehört hatte.
 
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