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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0492
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Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

flusst, konzentriert sich Freytags Romanzyklus Die Ahnen stärker auf die Ent-
wicklung des Familienkollektivs als auf den Status großer Persönlichkeiten. -
Als Referenzautor kommt auch der bereits seit den 1860er Jahren bekannte
französische Romancier Emile Zola in Betracht: durch seinen 20bändigen Ro-
manzyklus Les Rougon-Macquart. Histoire naturelle et sociale d’unefamille sous
le Second Empire. Diese familiäre Natur- und Sozialgeschichte, die Zola 1869
zu schreiben begann und erst nach mehr als zwei Jahrzehnten abschloss, ist
positivistischen Konzepten verpflichtet und beruht auf dem Prinzip der Deter-
mination durch Erbanlagen, Milieu und sozialhistorische Rahmenbedingun-
gen. N. nimmt in nachgelassenen Notaten und in Briefen der späten 1880er
Jahre, also lange nach dem Erscheinen von UB II HL, wiederholt auf Zola Be-
zug, der auch als Begründer des literarischen Naturalismus gilt. Vgl. z. B.
NL 1887/88, 11 [56], KSA 13, 28: „Zola: - ein gewisser Wetteifer mit Taine, ein
Ablernen von dessen Mitteln, in einem skeptischen milieu es zu einer Art von
Diktatur zu bringen. Dahin gehört die absichtliche Vergröberung der Prin-
cipien, damit sie als Commando wirken.“
270,15-24 Wir bringen es [...] auch wohl zu einem Kampfe einer neuen strengen
Zucht gegen das von Alters her Angezogne und Angeborne, wir pflanzen eine
neue Gewöhnung, einen neuen Instinct, eine zweite Natur an, so dass die erste
Natur abdorrt [...] ein gefährlicher Versuch, weil es so schwer ist eine Grenze im
Verneinen des Vergangenen zu finden] In der Schwierigkeit, destruktive Tenden-
zen zu beschränken, besteht also das Risiko einer ,kritischen Historie4 5. Zu-
gleich deutet sich hier bereits die Möglichkeit einer ,Umwertung aller Werte4
an, die N. später als philosophisches Programm entwirft.
4.
Zur konstruktiven Kritik von N.s Freund Erwin Rohde am argumentativen Duk-
tus und an der stilistischen Gestaltung der Historienschrift, die sich auch auf
dieses 4. Kapitel erstreckt, vgl. die Kapitel II.l und II.5 des Überblickskommen-
tars und NK 267, 10-17. Rohde schreibt am 24. März 1874 in einem Brief an N.:
„In der Anlage des Ganzen erkenne ich einen wirklichen Mangel in dem 4.
Abschnitt. Die so sehr richtige Bemerkung über den Gegensatz des Außen und
Innen kommt zu p 1 ö t z 1 i c h, wie aus der Kanone geschossen, eigentlich (auf
5. 36) wie aus dem Leibe hervorgerumpelt44 (KGB II4, Nr. 525, S. 421). Durch ein
spezifisches Defizit sieht Rohde auch die Rezeption von N.s Werken nachhaltig
erschwert: „Du deducirst allzu wenig, sondern überlässest dem Leser mehr
als billig und gut ist, die Brücken zwischen deinen Gedanken und Sätzen zu
finden“ (ebd.).
 
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